Münster wird Biostadt (Foto: Oliver Brand)

Der nächste Titel für Münster: Die Domstadt wird Biostadt

Es geht um eine öko-regionale Landwirtschaft, um Nachhaltigkeit, gesundes Essen und einen guten Umgang mit Ressourcen: Das Netzwerk Biostädte wächst seit Jahren und umfasst mittlerweile 20 Städte. Jetzt hat auch Münster seinen Beitritt beschlossen. Aber was heißt das überhaupt: Biostadt?

Münster erhält einen weiteren Titel: Nach Universitätsstadt, Fahrradstadt und Fairtrade Town darf sich die 315.000-Einwohner*innen-Kommune bald auch Biostadt nennen. Einen vom grün-rot-violetten Bündnis unterstützten Beschluss fasste der Rat in seiner Sitzung vom 26. März dieses Jahres. Die Verwaltung hat bereits ein erstes Maßnahmenprogramm mit dem Namen „Münster-Biostadt 2022“ für den Zeitraum bis 2022 auf den Weg gebracht. Eine feste Ansprechperson für die Koordination der Biostadtaktivitäten wird im Amt für Grünflächen, Umwelt und Nachhaltigkeit verortet. Doch was bedeutet das überhaupt, Biostadt zu werden? Ist in Münster künftig alles nur noch Bio und nachhaltig?

Gemach, gemach. Zunächst einmal dient das Netzwerk, dem mittlerweile 20 kleine und größere Städte angehören, dem Erfahrungsaustausch und unterstreicht den Willen zu einer Agrar- und Verbraucherpolitik, die sich nach ökologischen und sozialen Kriterien richtet. Diese Selbstverpflichtung sei mit Blick auf den Umwelt- und Klimaschutz für Münster ein wichtiger Schritt, sagt Robin Korte, umweltpolitischer Sprecher der grünen Ratsfraktion. „Gerade im Bereich der ökologischen Landwirtschaft haben wir in Münster und im Münsterland noch viel Nachholbedarf. Dieses Thema gehen wir jetzt mit Nachdruck an.“ Vonseiten der Stadt heißt es, Münster profitiere vom intensiveren Erfahrungsaustausch mit anderen Kommunen, die in diesem Bereich schon mehrjährige Erfahrungen haben und habe bessere Möglichkeiten, Fördermittel zu akquirieren.

Kurze Transportwege, regionale Wertschöpfung

Feste Organisationsformen oder Mitgliedsbeiträge gibt es freilich nicht. Dafür eine Kooperationsvereinbarung, in der das Netzwerk seine Ziele anhand freiwilliger Selbstverpflichtungen und Anliegen, ähnlich einem Leitbild, zusammengefasst hat. Demnach will Münster unter anderem den Ökolandbau sowie die Weiterverarbeitung und die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln mit kurzen Transportwegen und regionaler Wertschöpfung verstärkt fördern. Zudem sollen Bio-Lebensmittel bei öffentlichen Einrichtungen, Veranstaltungen und Märkten vorrangig eingesetzt werden und insbesondere Kindern und Jugendlichen zugutekommen. Per Grundsatzbeschluss im Stadtrat könnte beispielsweise ein 25- oder 50-prozentiger Bio-Anteil an der Versorgung in städtischen Kantinen, Schulen und Kitas erreicht werden.

Weitere Ziele bis 2022 seien der Aufbau eines Nachhaltigkeits-Unternehmensnetzwerks, die sozial-ökologische und faire Beschaffung von Waren sowie das Etablieren einer „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ in städtischen Bildungseinrichtungen, so die Verwaltung. Aus Robin Kortes Sicht gehe es jetzt aber erst einmal darum, „den Verbrauch von Bioprodukten in Münster anzukurbeln und zu unterstützen. Denn davon versprechen wir uns in der Folge Auswirkungen auch auf die Landwirtschaft in Münster und dem Münsterland, die derzeit noch sehr stark vom konventionellen Anbau geprägt ist“, so der Grünen-Ratsherr.

Tatsächlich ist der Anteil ökologischer Landwirtschaft in der Domstadt schwindend gering. Nach den letztmals erhobenen Zahlen der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen gibt es 325 landwirtschaftliche Betriebe (Stand 2017). Die landwirtschaftlich genutzte Fläche umfasst insgesamt 12.661 Hektar, wovon der Anteil an Ackerland 10.483 Hektar (rund 82 Prozent) beträgt. Ökologisch wirtschafteten allerdings lediglich elf Betriebe. Der Landwirtschaftliche Kreisverband Münster spricht sogar von nur sieben Biobetrieben mit einer Ackerfläche von 139 Hektar Ackerfläche – also weniger als 1,4 Prozent.

Geringster Anteil an ökologisch bewirtschafteten Flächen

Allgemein ist der Regierungsbezirk Münster jener Regierungsbezirk in NRW mit dem geringsten Anteil an ökologisch bewirtschafteten Flächen, wie aus der Agrarstrukturerhebung zum ökologischen Landbau hervorgeht. Dieser lag in der Erhebung von 2016 bei gerade einmal 1,3 Prozent. Zum Vergleich: Bundesweit betrug der Anteil ökologisch bewirtschafteter Agarflächen zuletzt 9,7 (1.613.834 Hektar), in NRW immerhin noch 6 Prozent. Der Anteil der Betriebe kletterte hierzulande sogar auf 12,9, in NRW auf 6,8 Prozent. Und die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, den ökologischen Landbau bis zum Jahr 2030 auf 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche auszudehnen.

In Münsters Landwirtschaft stößt der Beitritt ins Netzwerk Biostädte dennoch nur bedingt auf Gegenliebe. „Ich sehe derzeit keine Notwendigkeit für eine zwanghafte Umstellung, weil unsere konventionellen Betriebe hinsichtlich der Grund- und Boden- sowie Tierhaltung ebenfalls nachhaltig und verantwortungsbewusst wirtschaften“, sagt Susanne Schulze Bockeloh, Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Münster und CDU-Ratsmitglied. Für alle, die umstellen wollen gebe es auch ohne Biostadt „qualifizierte Beratungsmöglichkeiten, zum Beispiel bei der Landwirtschaftskammer oder Anbauverbänden“. Ohnehin entschieden sich Landwirt*innen nicht für einen Wechsel hin zu einer ökologischen Bewirtschaftung, „nur weil eine Stadt Biostadt ist. Sie treffen diese Entscheidung beispielsweise aufgrund der Abnahme-Möglichkeiten von entsprechenden Produkten oder wenn es ihnen hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit eine Zukunftsperspektive bietet“, so Schulze Bockeloh.

Bereits in der Ratssitzung vom 26. März drängte die CDU auf einen Änderungsantrag, wonach sich die Förderung nicht allein auf die klassische Biolandwirtschaft fokussieren, sondern auch die regional und nachhaltig produzierende Landwirtschaft berücksichtigen sollte. Ein Punkt ist besonders umstritten: Die städtischen Ackerflächen, die landwirtschaftlich genutzt werden, sollen zunehmend ökologisch beackert und entsprechend bevorzugt an Biobetriebe verpachtet werden. „Eine Bevorzugung des einen ist immer auch die Benachteiligung eines anderen“, sagt Schulze Bockeloh. „Deshalb muss die Stadt gerade bei diesem Thema ihrer Verantwortung gerecht werden und über Vergabeleitlinien Voraussetzungen für eine möglichst gerechte Verteilung schaffen“

98,7 Prozent der Landwirtschaft in Münster konventionell

Die Verwaltung erwartet ihrerseits keine Konfliktlinien mit den hiesigen Landwirt*innen. „Wenn man bedenkt, dass derzeit 98,7 Prozent der Landwirtschaft in Münster konventionell betrieben wird und selbst wenn das städtische Ziel, die ökologische Landwirtschaft bis 2030 auf fünf Prozent auszudehnen, erreicht wird, haben wir es immer noch mit 95 Prozent konventioneller Landwirtschaft zu tun. Das heißt: Mengenmäßig bleibt die Biolandwirtschaft noch unbedeutend.“

Aktuell befinden sich rund 1.090 Hektar landwirtschaftliche Fläche im Besitz der Stadt Münster. Etwa 9,2 Prozent davon wurden den Angaben nach im Jahr 2019 per Ausschreibung für ökologische Landwirtschaft an einen Bio-Betrieb verpachtet. Und hier kommt nun die 20-Prozent-Zielsetzung des Bundes zurück ins Spiel. Denn der Rat der Stadt Münster hat „als Pendant dazu und auf der Grundlage der Empfehlung des Projektbeirats ‚Global Nachhaltige Kommune‘ seinen Zielwert für 2030 mit einem Anteil von 5 Prozent ökologischer Fläche am Gesamtanteil landwirtschaftlich bewirtschafteter Flächen im Stadtgebiet“ beschlossen. Ob für die Verpachtung städtischer Flächen ebenfalls dieses 5-Prozent-Ziel gelten solle“, sei noch offen. Diesbezüglich gebe es „derzeit keine quantifizierten Vorgaben“.

„Es geht nicht darum, in wenigen Jahren möglichst viele Betriebe zwangsumzustellen. Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, in denen die Betriebe von sich aus umstellen.“

Robin Korte, Grüne

Grünen-Politiker Robin Korte hofft derweil darauf, „dass sich die Fronten nicht verhärten“. Es gehe ohnehin nicht darum, „in wenigen Jahren möglichst viele Betriebe zwangsumzustellen“, sagt er. „Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, in denen die Betriebe von sich aus umstellen möchten. Daher müssen wir Sorgen und Ängste abbauen. Zumal biologische und konventionelle Landwirtschaft auch sehr gut nebeneinander bestehen und wirtschaften können. Aber dafür müssen Landwirtschaft und Politik noch enger in Kontakt kommen.“

Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften

Bio gilt seit Längerem als weicher Standortfaktor, und ein ökologischer Landbau leiste einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften, sagt Korte. „Wenn wir die Böden schonender bearbeiten – vor allem durch einen reduzierten Einsatz von Kunstdünger und chemisch-synthetischen Pestiziden –, fördern wir unter anderem die Artenvielfalt und verbessern die Grundwasser-Qualität. Und gerade deshalb ist uns auch nicht egal, ob die Bio-Lebensmittel nun aus Sachsen-Anhalt oder Bayern stammen. Sie sollen aus dem Münsterland kommen.“

So einfach sei das allerdings nicht, sagt Susanne Schulze Bockeloh. Gerade mit Blick auf die Versorgung öffentlicher Kantinen, Schulen und Kindertagesstätten. „Selbst wenn all unsere Betriebe in Münster künftig ökologisch wirtschaften, würden wir es nicht schaffen, in allen Kantinen der Stadt 25 oder gar 50 Prozent Bio anzubieten.“ Derart differenziert in den benötigten Produkten ließe sich gar nicht wirtschaften, „dass wir allein aus Münster jeden Bedarf im Bio-Segment decken können“, so Schulze Bockeloh.

Münster steht mit der Stärkung ökologischen Landwirtschaft allerdings nicht alleine da. Auch die umliegenden Kreise haben sich offenbar dazu entschieden, künftig vermehrt auf Bio setzen zu wollen. Demnach gibt es aktuelle Kreistagsbeschlüsse aus den Kreisen Steinfurt, Borken, Warendorf und Coesfeld, sich gemeinsam mit Münster auf eine Ausschreibung des Landes NRW als Ökomodellregion zu bewerben, wie die Stadt erklärt. „Gerade in Bezug auf die Kooperation mit der Landwirtschaft streben wir einen engen Austausch mit den Münsterlandkreisen an.“

Thema Biostadt ist nicht neu

Neu ist das Thema Biostadt in Münster übrigens nicht. Bereits 2017 wurde im Rat ein Antrag der Ratsgruppe Piraten/ÖDP diskutiert, ohne am Ende ausreichend Zustimmung zu finden. Zur Begründung hieß es damals, dass die Verwaltung „zahlreiche Biostadt-Themen wie ‚Ökolandbau, regionale Wertschöpfung, nachhaltige Verbrauchs- und Esskultur sowie Verzicht auf Gentechnik‘ als wichtige Aufgabenfelder bereits auf verschiedenen Ebenen“ bearbeite oder unterstütze. Stattdessen sollte über das dreijährige Modellprojekt „Global nachhaltige Kommune in NRW“ eine Priorisierung der zukünftig zu verfolgenden Ziele und Maßnahmen erfolgen. Dieses ist mittlerweile ausgelaufen und der Beitritt ins Netzwerk beschlossen.

Heute sehen sich die Verantwortlichen bei der ÖDP bestätigt. „Wir freuen uns, dass diese Entscheidung jetzt mit Verspätung doch noch getroffen worden ist. Denn wir sehen diesen Schritt insbesondere mit Blick auf den Klima- und Umweltschutz als unumgänglich an“, sagt Maximilian Brinkmann-Brand, stellvertretender Vorsitzender der Partei. „Es müssen jetzt Anreize geschaffen werden, dass die Landwirtschaft umstellt, aber auch jeder Einzelne von uns selbst sein Handeln anpasst“, so Brinkmann-Brand. „Das heißt, wir als Gesellschaft müssen auch die Bereitschaft zeigen, mehr Geld für regionale und qualitativ hochwertige Lebensmittel auszugeben.“

Die Landwirtschaft in Münster und dem Münsterland ist derzeit fast ausschließlich geprägt von konventionell bewirtschafteten Betrieben. Durch den Beitritt in das Netzwerk Biostädte soll der Anteil ökologischer Landwirtschaft in den kommenden Jahren wachsen. (Foto: unsplash)

Die Vorzeichen scheinen jedenfalls günstig. Der deutsche Bio-Markt wuchs nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im vergangenen Jahr um 22 Prozent auf 14,99 Milliarden Euro und ist weiterhin der zweitgrößte Bio-Markt der Welt. Aus dem Öko-Barometer des BMEL geht zudem hervor, dass acht von zehn Befragten, meist jüngere Verbraucher*innen mit höherem Bildungsabschluss aus Großstädten oder dem ländlichen Raum, im Supermarkt vorzugsweise Bio-Lebensmittel kaufen. Hauptbeweggründe sind der Umfrage zufolge eine artgerechte Tierhaltung, möglichst naturbelassene Lebensmittel und die Unterstützung regionaler Betriebe. Knapp 90 Prozent der Befragten gab zudem an, künftig zumindest gelegentlich zur Bio-Variante greifen zu wollen.

Bio-Branche boomt

Die Corona-Pandemie hat diesen Trend sogar noch verstärkt und „für einen wahren Bio-Boom gesorgt“, bestätigte auch Enrico Krien vom Marktforschungsunternehmen Nielsen jüngst der „Wirtschaftswoche“. Vor allem Wurstwaren, Tiefkühlkost und Backwaren verzeichneten ein hohes Umsatzwachstum. Die Entwicklung hin zu mehr Bio ziehe sich allerdings durch nahezu alle Warengruppen, so Krien. Milch- und Trockenfertigprodukte werden demnach am meisten in Bio-Qualität gekauft. Allgemein landeten laut der Nielsen-Daten rund 17 Prozent mehr Bio-Produkte in den Einkaufswagen als im Vorjahreszeitraum.

Es gebe eine „gesamtgesellschaftliche Entwicklung, dass Teile der Bevölkerung bewusst wissen wollen, wo ihre Lebensmittel herkommen“, heißt es dazu vonseiten der Stadt Münster. „Die Menschen leben umweltbewusst und ihnen ist wichtig, dass der Planet auch für Folgegenerationen erhalten bleibt. Bio ist in Mode. Da wäre es doch toll, wenn dieser wachsende Markt auch regionale versorgt werden könnte.“ Denn davon profitieren würden nach Ansicht der Stadt auch die landwirtschaftlichen Betriebe in Münster, die sich ebenfalls zu mehr nachhaltiger Wirtschaftsweise auf den Weg machen. „Denn der Verbraucher zahlt, was es ihm wert ist.“ Münsters Beitritt in das Netzwerk Biostädte scheint zumindest ein erster Schritt dorthin zu sein.

Von Oliver Brand

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