Eine Regenbogenfahne (Foto: unsplash)

LSBTI-Szene in Münster: Wie bunt ist die Domstadt?

Lesbisch, schwul, bisexuell oder trans* zu sein, ist in vielen Teilen der Gesellschaft noch immer nicht selbstverständlich. Vielerorts gibt es Diskriminierung und Ablehnung. Aber wie ist das eigentlich in Münster?

Die Liste, die die Ratsfraktionen in ihrer Sitzung am 29. September abzuarbeiten hatten, war lang. 57 Tagesordnungspunkte standen auf dem Programm. Es ging vor allem um den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sowie das Thema Klimaschutz und dass Teile der Altstadt in Münster bald schon weitgehend autofrei werden sollen. Die Fraktionen hatten viel zu besprechen, der Abend wurde lang, und so ging am Ende ein Antrag fast ein wenig unter, den die CDU unter dem Tagesordnungspunkt 54 eingebracht hatte.

Die Christdemokraten hätten gerne regenbogenfarbene Sitzbänke an zentralen, sichtbaren Orten in der Innenstadt und in den Stadtteilen. „Für die weltoffene Stadt Münster wünschen wir uns ein permanentes LGBTQ* Bekenntnis“, heißt es in dem Antrag. Es sei eine gemeinschaftliche Aufgabe, „sich gegen jegliche Diskriminierung, Ausgrenzung und Bedrohung von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung auszusprechen“.

Um ihrem Anliegen noch etwas Nachdruck zu verleihen, verschickte die CDU den Inhalt des Antrags anderthalb Wochen später noch einmal als Pressemitteilung. Maik Bruns, gleichstellungspolitischer Sprecher der Fraktion, wird darin mit den Worten zitiert, dass „Städte wie Hamburg, München, Köln, Bielefeld oder Düsseldorf (…) für Münster durch sichtbare Zeichen der Vielfalt und Toleranz vorbildhaft“ seien. Und so stellt sich die Frage, wie denn Münster hinsichtlich der LSBTIQ*-Szene eigentlich aufgestellt ist und ob es womöglich noch Nachholbedarf gibt.

Thema mehr in die Öffentlichkeit tragen

Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung sind zwischen fünf und zehn Prozent aller Menschen schwul, lesbisch, bi oder trans*. Bänke in Regenbogenfarben mögen da zunächst vor allem einen symbolischen Charakter haben. „Aber alles, was die Sichtbarkeit erhöht, begrüßen wir“, sagt Markus Chmielorz. „Denn wir müssen das Thema mehr in die Öffentlichkeit bringen, um aufzuklären und Barrieren abzubauen.“

Markus Chmielorz, Diplom-Pädagoge, ist im März vergangenen Jahres vom Verein „Rosa Strippe“ in Bochum nach Münster ins Amt für Gleichstellung gewechselt. Sein Zuständigkeitsbereich ist umschrieben mit „LSB & TI – lesbische, schwule, bisexuelle & trans, inter Menschen“. In Teilen der Gesellschaft, sagt Chmielorz, seien die unterschiedlichen Lebensweisen „leider noch immer nicht selbstverständlich“. Deshalb brauche es künftig noch mehr Beratung, aber eben auch Sichtbarkeit.

Regenbogenflaggen wehen über dem Prinzipalmarkt. (Foto: Presseamt Münster)

Dass Chmielorz nun seit etwa anderthalb Jahren bei der Stadt beschäftigt ist, zeigt auch, dass die Verwaltung das Thema heute wohl anders bewertet, als das vielleicht noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen ist. Erst im März 2019 ist beispielsweise aus dem städtischen Frauenbüro das Amt für Gleichstellung geworden, das für das Arbeitsfeld hinsichtlich der Vielfalt der sexuellen Orientierungen zuständig ist. Die wesentlichen Dinge, sagt Chmielorz, passierten aber ohnehin durch die Vereine mit ihren Angeboten. Der wichtigste Aspekt seiner Arbeit, meint er, sei die Förderung von freien Trägern und Projekten.

Vielfältiges Angebot

Das Angebot in Münster ist dabei durchaus vielfältig, wie Chmielorz sagt. Seit 1985 gibt es unter anderem das KCM am Hawerkamp, das „für die Emanzipation und gegen die Diskriminierung homosexueller Menschen“ arbeitet. Der Verein LiVas richtet sich an Frauen, Lesben, Inter, Non-binäre sowie Trans Personen (FLINT), der LSBTI*-Jugendtreff Track an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 27 Jahren.

Es gibt die Fachstelle für Sexualität und Gesundheit der Aids-Hilfe Münster. Zartbitter berät Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen waren oder sind. Der Verein Christopher Street Day, kurz CSD, Münster organisiert in Kooperation mit Vereinen und Instituten der Szene jährlich ein Demonstrations- und Festtag für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Und an der Universität bietet das autonome Schwulenreferat Beratung für Studierende.

Das Filmfestival Queerstreifen ist fester Bestandteil der Szene in Münster genau so wie der schwul-lesbische Sportverein androGym, der schwule Männerchor Homophon oder das weibliche Pendant Zuckerschnitten. Die Queer-Gemeinde ist Heimat für christliche Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Und auch aus historischer Sicht lohnt sich ein Blick auf Münster. In der Domstadt fand am 29. April 1972 die erste Demonstration von Schwulen und Lesben in der Bundesrepublik statt.

Queeres Café fehlt in Münster

Wenn man Claudia Lindner danach fragt, wie bunt Münster ist, antwortet sie, die Stadt sei schon farbig, aber es gehe sicherlich noch bunter. Lindner gehört zum Team der Queerstreifen. Was in Münster fehle sei ein rein queeres Café oder eine Bar, sagt sie und teilt damit den Wunsch vieler anderer aus der Szene.

Im April 2020 schloss mit dem Black Light am Bremer Platz die letzte reine Queer-Bar in Münster. Der Versuch des Betreibers Stefan Eberle, über eine Crowdfunding-Aktion ein Queer-Tagescafe mit Abendbar in Münster zu schaffen, scheiterte. „Ein kommerzielles Angebot ist damit aktuell komplett verschwunden“, sagt Lindner, die zumindest die Hoffnung hegt, dass Veranstaltungen wie die Emergency- oder DIN-A-Queer-Party wieder aufleben.

„Die Queerstreifen sind ein echtes Happening mit Menschen aus dem gesamten Münsterland.“

Claudia Lindner, Queerstreifen

Vorerst gilt Lindners Aufmerksamkeit aber ohnehin erst einmal den lesbisch-schwul-queeren Filmtagen im November, die in diesem Jahr unter dem Motto „We are family! We are history!“ stattfinden. „Die Queerstreifen wurden damals gegründet, um Filme nach Münster zu holen, die hier sonst nicht zu sehen gewesen wären“, sagt Stefan Jung, ebenfalls vom Queerstreifen-Team. „Das ist schon ein sehr spezielles Thema. Und wenn sich sonst keiner darum gekümmert hätte, wäre es hinten runtergefallen.“

Sie selbst habe sich damals, in den 90er-Jahren, „sehnlichst gewünscht, Filme aus der queeren Szene im Kino sehen zu können“, sagt Lindner. Die Nachfrage in Münster sei allgemein groß, „und die vier Tage während des Festivals haben wir immer volles Haus“. Für das Publikum seien die Queerstreifen ein festes Event im Kalender. „Das ist mehr als nur hinzugehen und einen Film zu schauen. Das ist ein echtes Happening mit Menschen aus dem gesamten Münsterland, bei dem man sich trifft und eine schöne Zeit miteinander verbringt.“ Es sei wichtig, „die queere Sichtbarkeit auch beim Thema Film zu gewährleisten“.

Homophon will Menschen den Spiegel vorhalten

Auch Markus Völler vom ersten schwulen Männerchor in Münster, Homophon, sagt, dass gerade die Sichtbarkeit des Themas sehr wichtig sei für die Diversity, also die Vielfalt einer Stadt. Bei ihren Auftritten tragen Völler & Co. schrille Kostüme und pointieren ihre bisweilen „schlüpfrigen, aber auch politischen Lieder“ mit entsprechenden Ansagen zum Thema, „sodass vieles deutlicher wird“, wie Völler sagt. „Wir bedienen die Klischees also schon bewusst, um den Leuten den Spiegel vorzuhalten.“

Markus Völler von Homophon (Foto: Oliver Brand)

Aktuell besteht der vierstimmige A-capella-Chor aus 16 Männern. Ohne Corona kommt Homophon auf etwa 20 bis 25 Auftritte im Jahr. Das Publikum, das die Konzerte besucht, sei dabei zu weiten Teilen oft hetero, so Völler. „Man sieht sehr schnell, wer sich bewusst für einen Besuch entschieden hat und wer mitgenommen worden ist.“ Er meint, Kultur sei ein guter Verstärker, das Thema in die Köpfe der Menschen zu bringen. Auch wenn sich bereits viel getan habe. So seien Schutzräume, wie es sie vielleicht vor 20, 30 Jahren noch gebraucht hat, heute gar nicht mehr notwendig. „Das Schwulsein ist heute einfacher als früher.“

Akzeptanz nimmt zu

Die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft hinsichtlich LSBTIQ* sei grundsätzlich größer geworden, sagt Felix Schäper vom Verein Trans-Inter-Münster (T-I-MS), der unter anderem Träger der Selbsthilfegruppe TransIdent Münster ist und bei dem auch die TransBeratung Münster angegliedert ist. Er habe das nicht zuletzt daran bemerkt, dass sein Telefon heute viel öfter klingelt, als das noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Bis zu drei Anrufe erreichten ihn durchschnittlich am Tag. „Das zeigt, dass viele mutiger geworden sind, sich Hilfe zu suchen. Aber eben auch, dass der Bedarf an einem Austausch groß ist, grade auch bei Eltern von Trans Kindern“, sagt Schäper.

Trans* ist ein Überbegriff für Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht identifizieren. Schäper, Jahrgang 1963 und selbst Trans* Mann, spricht trans* von „Kopfgeschlecht und Körpergeschlecht, wenn diese nicht übereinstimmen“. Er sei zwar in einem weiblichen Körper geboren, „doch mir war bereits als Kind mit zweieinhalb Jahren klar: Ich bin ein Junge“. Und 2006 begann er mit der Angleichung seines Körpergeschlechtes an sein Kopfgeschlecht.

Heute hält Schäper unter anderem Vorträge in Schulen oder Kitas. Weniger für die Kinder als vielmehr für die Erwachsenen, also Eltern, Erzieherinnen und Erzieher. Schäper sagt, das Ziel sei es, auf diesem Wege den Blick für das Thema bei den Älteren zu schärfen und mögliche Berührungsängste abzubauen. „Denn je früher man sich mit damit auseinandersetzt und man unterstützen kann, desto besser ist es für den weiteren Lebensweg des jeweiligen Menschen.“ Zumal noch immer Kinder und Jugendliche ihre Identität aus Angst vor Anfeindungen verheimlichen.

Sorge vor Benachteiligung im Bildungs- und Arbeitsbereich

In der Studie „Coming-out – und dann…?“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI) gaben mehr als ein Viertel aller befragten jungen Trans* an, dass sie schon immer gewusst haben, dass sie trans* sind. Fast die Hälfte wusste es spätestens im Alter von zwölf Jahren. Gleichzeitig erklärten aber auch 61 Prozent der Jugendlichen, durch ein Coming-out Probleme im Bildungs- oder Arbeitsbereich zu befürchten.

Tatsächlich würden gerade auf Schulhöfen Wörter wie „schwul“ oder „lesbisch“ immer noch als Schimpfwörter missbraucht und blieben von Lehrkräften oftmals unwidersprochen, sagt Moritz Prasse vom LSBTIQ-Jugendtreff Track in Münster. „Die fehlenden Reaktionen sind ein Problem, das man sicherlich angehen muss.“ Auch mangele es an direkten Vorbildern innerhalb der Lehranstalten, meint er. „Die Zahl an Lehrer*innen, die sich outen, ist äußerst gering. Dabei würde ein solcher Schritt gerade auch Jüngeren helfen, Ängste abzubauen.“

„Die Zahl der Lehrer*innen, die sich outen, ist äußerst gering. Dabei würde ein solcher Schritt gerade auch jüngeren helfen, Ängste abzubauen.“

Moritz Prasse, Jugendtreff Track

Track ist eine Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 27 Jahre. Der Jugendtreff, der gleichzeitig Beratungsstelle ist, liegt etwas versteckt in der Dechaneistraße in einem alten Fachwerkhaus in direkter Nachbarschaft zur Mauritzschule. Hier können sich junge Menschen mit anderen austauschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Und hier finden sie in einem geschützten Raum ein offenes Ohr, insbesondere dann, wenn Probleme aufgrund der eigenen sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität auftreten.

Markus Prasse vom Jugendtreff Track (Foto: Oliver Brand)

Allein: Der erste Schritt, das Angebot aufzusuchen, falle vielen schwer, sagt Prasse. Wohl oft aus Angst und Scheu. Dazu kommt, dass gerade die Zeit als Teenager oder junger Erwachsener oft begleitet wird von alltäglichen Unwägbarkeiten wie Arbeits- und Schulstress oder Problemen innerhalb der eigenen Familie. „Wenn man in dieser Zeit dann auch noch mit der eigenen Identität hadert, kann man sich ungefähr vorstellen, wie sehr das die jeweiligen Personen belastet“, sagt Prasse.

Schule der Vielfalt

Tatsächlich aber tut sich etwas in diesem Bereich. Die Mathilde Anneke Gesamtschule zum Beispiel hat als erste in Münster die Auszeichnung „Schule der Vielfalt“ erhalten. Dabei handelt es sich um ein Programm und Schulnetzwerk, das sich für eine größere Akzeptanz gegenüber geschlechtlicher und sexueller Vielfalt im Bildungsbereich einsetzt und in der AG „Bundesnetzwerk Schule der Vielfalt“ organisiert ist.

Aufklärung an Schulen betreibt auch Schlau Münster, ein Projekt in Trägerschaft des KCM. In Workshops mit Schulklassen, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bieten Teams die Möglichkeit, mit queeren Menschen ins Gespräch zu kommen. Ziele sind unter anderem das Erkennen und Reflektieren von Vorurteilen und Klischees, die Förderung von Respekt und Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt oder das Sensibilisieren für die Lebenssituation von jungen LSBTIQ* Personen.

Dass die Aufklärung an Schulen ins Blickfeld rückt, begrüßt auch Felix Schäper. Er selbst habe im Alter von 14 Jahren im Lexikon nachgeschlagen, „um herauszufinden, was ich bin und was ich hätte tun können“, sagt er. Doch die Literatur konnte nicht helfen, das Internet gab es noch nicht, „und so war ich genauso schlau wie vorher“. Diesem Problem entgegenzuwirken, dass Menschen alleine gelassen werden, hat sich Schäper zur Aufgabe gemacht. Niemand, sagt er, solle die „falsche Pubertät“ erleben müssen. Denn mit der Entwicklung der eigenen Geschlechtsmerkmale wachse der Widerspruch gegen die eigenen Identität.

Hohe Quote an Suizidgedanken bei trans* Menschen

Es gibt eine Studie aus den USA, die dazu erschreckende Zahlen offenbart. Wissenschaftlicher der University of Arizona in Tucson haben demnach herausgefunden, dass mehr als 50 Prozent der Frau-zu-Mann-Transsexuellen im Alter zwischen elf und 19 Jahren mindestens einmal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Unter trans* Frauen lag die Rate laut der Studie bei 29,9 Prozent, unter nicht-binären trans* Personen – also denjenigen, die sich weder als ausschließlich männlich noch ausschließlich weiblich ansehen – bei 41,8 Prozent.

„Es ist ungemein wichtig, gerade im Bereich trans* frühzeitig die richtige Beratung und medizinische Begleitung zu finden“, sagt Schäper. Und obwohl es in Münster neben TransIdent in pro familia und der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit der Aidshilfe noch zwei weitere Anlaufstellen gibt, meint Schäper, dass es in der Stadt und der Umgebung aktuell noch zu wenig Begleittherapeutinnen und Fachpsychiaterinnen gebe, die sich dieser Variation der cerebralen Geschlechtsentwicklung annehmen und auch wirklich auskennen, um die Begleitung mit Diagnose und Indikationen nicht unnötig in die Länge zu ziehen.

„Es ist ungemein wichtig, gerade im Bereich trans* frühzeitig die richtige Beratung und medizinische Begleitung zu finden.“

Felix Schäper, TransIdent

Georg Romer, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychotherapie an der Uni-Klinik Münster, bestätigte Anfang 2021 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass sich die Zahl der Anfragen in der Sprechstunde für transidente Kinder und Jugendliche im vergangenen Jahrzehnt vervielfacht habe – was an einem gestiegenen Beratungsangebot liege, aber auch an einem veränderten Bewusstsein in der Bevölkerung.

Man könne da ein bisschen die historische Parallele zur Homosexualität ziehen, erklärte Romer. „Die Homosexualität galt bis in die 70er-Jahre hinein als psychiatrische Störung. (…) Erst Ende der 70er-Jahre wurde sie als eine normale Variante menschlicher Sexualität anerkannt.“ Wesentlich länger hat eine solche Entscheidung beim Thema Trans* gebraucht. Erst 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrem Krankheitenkatalog ICD-11 festgehalten, dass trans* Personen nicht länger als Menschen mit „Störungen der Geschlechtsidentität“ im Abschnitt „Mentale und Verhaltensstörungen“ eingeordnet werden.

Diskriminierung im Alltag

Markus Chmielorz sagt, Münster sei hinsichtlich der Versorgung im Vergleich zu anderen Städten zwar ordentlich aufgestellt, „aber grundsätzlich ist diese – Stand heute – leider immer noch prekär.“ Trans* Jugendliche litten besonders oft unter Einsamkeit, Ängsten, schulischen Problemen, Unsicherheit, Schuldgefühlen oder Depressionen. „Die psychosozialen Folgen sind weitreichend, die Angebote aber nach wie vor nicht ausreichend. Da müssen wir weiter wachsen, damit diese Menschen aufgefangen werden.“ Zumal auch die eigene Familie für trans* Kinder und Jugendliche nicht immer ein sicherer Ort zu sein scheint.

Der Studie des DJI zufolge gaben 79 Prozent der Befragten an, dass ihre Familie ihre Geschlechtsidentität nicht ernst genommen habe. Insbesondere Trans* Mädchen und junge Trans* Frauen erklärten, selbst in der Familie beschimpft oder lächerlich gemacht (22 Prozent) worden zu sein. Auch in der Schule sind der Studie zufolge Beleidigungen (44 Prozent) und Ausgrenzung (36 Prozent) Teil transgeschlechtlicher Alltagserfahrung.

„Es gibt sicherlich deutsche Städte, in denen es für Menschen schwieriger ist, queer zu leben und die Bevölkerung weniger tolerant ist als in Münster“, sagt Martin Enders vom KCM. Dennoch passiere es auch hier, das man als queerer Mensch oder queeres Paar angestarrt oder beschimpft werde. „Das ist sicherlich nicht die Regel, dennoch ist Münster auch nicht die diskriminierungsfreie Insel“, sagt er. Noch im vergangenen Jahr gab es eine brutale Attacke auf ein junges schwules Paar in der Innenstadt, bei dem ein Opfer ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt.

Ausgrenzung am Wohnungsmarkt

Viele queere Menschen sähen sich nach wie vor einer strukturellen Diskriminierung im Alltag ausgesetzt, sagt Christine Kanz von der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit. Sei es die fehlende Möglichkeit, sich in Dokumenten als „divers“ oder „intergeschlechtlich“ einzutragen oder die fehlende Unisex-Toilette. „Wir hören immer wieder von Benachteiligungen in der Arbeitswelt, aber auch von Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt“, so Kanz. Und Trans* Personen müssen für die rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität nach dem Transsexuellengesetz noch immer Gutachten von Sachverständigen vorbringen – demütigende Zwangsberatungen und ärztliche Atteste inklusive.

Eine Teilnehmerin auf dem CSD (Foto: unsplash)

Auch die problematische Situation queerer geflüchteter Menschen sei ein Thema geworden. „Diese wenden sich an uns, wenn sie Diskriminierungserfahrungen in ihrer Unterkunft machen oder Hilfe und Unterstützung bei ihrem Asylverfahren brauchen“, sagt Martin Enders. „An dieser Stelle erfährt man auch deutlich, wie viel Diskriminierung, leider auch seitens des Staats und einiger Ämter, diese Menschen erfahren müssen.“

Raum für Begegnung

Merle und Lydia Bolte vom Verein Livas sagen, Diskriminierung gehöre noch immer ganz selbstverständlich zum Alltag von FLINT. „Ob es nun der voyeuristische Blick außenstehender Personen beim Händchenhalten oder Küssen auf der Straße ist, es sich um offensichtliche Anfeindungen und gewalttätige Übergriffe handelt oder sich in der gesetzlichen Benachteiligung lesbischer Paare in Bezug auf Kinderwunsch und Elternschaft bezieht – für FLINT mitunter leider alltäglich und ganz normal“, sagt Lydia Bolte.

„Wir möchten, dass Frauen, Lesben, Inter, Non-Binäre und Trans* Personen mehr Sichtbarkeit in der queeren Community erfahren. Deshalb haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, Angebote explizit an FLINT zu richten, die Begegnung und gemeinsame Freizeit ermöglichen, aber auch Raum für Empowerment und Selbstfürsorge geben“, sagt Merle Bolte. Der gemeinnützige Verein bietet unter anderem soziokulturelle Veranstaltungen, selbstorganisierte Partys, Lesungen oder Sportevents, aber auch Beratung an. „Wir wollen einen Raum für Begegnung schaffen“, sagt Merle Bolte. Interessierte sollen die Szene selbst mitgestalten können – was ein wichtiger Punkt ist, wie beide sagen.

„Von außen sagen viele, wie super es für die Szene in Münster ist. Aber das liegt vor allem daran, dass die Vereine hier sehr aktiv sind und sich sehr einbringen.“

Lydia Bolte, Livas

„Von außen sagen viele immer, wie super es ja für die Szene hier in Münster ist. Aber das liegt vor allem daran, dass die Vereine hier sehr aktiv sind und sich sehr einbringen. Denn wir alle hier müssen das selbst in die Hand nehmen“, betont Lydia Bolte mit Blick auf die Infrastruktur in der Stadt. Ohne die Vereine, sagt sie, gäbe es in Münster auch nicht mehr als anderswo. Was einen zurück zu Markus Chmielorz führt und seine Aussage, die wesentlichen Dinge fänden in den Vereinen statt.

Die Stadt jedenfalls scheint sich des Themas angenommen zu haben. In Kürze soll es einen eigenen Queer-Guide für Münster geben. Bereits am 17. März hat der Rat beschlossen, dass die Stadt die Diskriminierung, Stigmatisierung, Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen und weiterer vergessener Opfergruppen erforschen, aufarbeiten und der Opfer gedenken wird. „Darauf sind wir sehr stolz“, sagt Chmielorz.

Von Oliver Brand

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