Das Schlosstheater - Foto: Filmfestival Münster/Thomas Mohn

Münsters Kinoszene: Keine Zeit zu sterben

Lange Zeit galt Münster als cineastische Hochburg. Doch die Zahl der Lichtspielhäuser schwindet, und jetzt trifft auch noch die Corona-Pandemie die Branche mit voller Wucht. Wahrt Münster seinen Ruf als Kino-Stadt?

Ein Schriftzug des „Metropolis“ prangt noch immer an der Fassade des Mietshauses am Berliner Platz gleich gegenüber des Hauptbahnhofs. Dort, wo einst kleine und große Filmkunst über die Leinwand flimmerte, hat sich heute eine bekannte Fast-Food-Kette niedergelassen, und so riecht es statt nach frischem Popcorn vornehmlich nach gebratenen Burgern oder frittierten Pommes. Das „Metropolis“, so heißt es, stehe ein bisschen für das langsame Kinosterben in Münster. Denn von einst zahlreichen Filmtheatern in der Domstadt sind heute nur noch derer drei übrig geblieben.

„Das Metropolis mit seinem großen Saal war von der Technik und von den Sitzachsen her schon wirklich etwas Besonderes“, erinnert sich Jens Schneiderheinze an das Kino, das bereits seit 2004 nicht mehr existiert. „Das ist schon etwas, das ich vermisse – genauso übrigens wie den Saal im ehemaligen Fürstenhof, der einfach gigantisch war.“

Schneiderheinze ist jemand, den man wohl ohne schlechtes Gewissen als Urgestein in Münsters Kinolandschaft bezeichnen kann. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist er in der Szene fest verwurzelt und hat sie zu weiten Teilen mitgeprägt. 1989 gründete er „Die Linse“, einen Verein zur Förderung kommunaler Filmarbeit, drei Jahre später das cuba-kino, und von 1997 bis 2018 leitete er gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Thomas Behm die Geschicke des „Cinema“.

Krise trifft die gesamte Branche

Dass jemand wie Schneiderheinze sich nun Sorgen macht, dass der Begegnungsort Kino infolge der Corona-Pandemie womöglich in seiner jetzigen Form nicht überleben, zumindest aber künftig anders aussehen könnte, lässt entsprechend aufhorchen. „Und da geht es nicht allein um die großen Häuser“, wie Schneiderheinze betont. „Die Krise trifft die gesamte Branche, also auch die kleinen Häuser wie Cinema oder Schlosstheater.“

Die Kinoszene in Deutschland, das haben die vergangenen Monate gezeigt, steht vor einer ungewissen Zukunft. Seit März sind die meisten Filmtheater geschlossen oder nur mit einer begrenzten Anzahl an Sitzplätzen geöffnet. Blockbuster wie „James Bond“ wurden auf 2021 verschoben. Ticketverkäufe und Umsätze sind dramatisch eingebrochen, die Fixkosten aber bleiben. Wie viele andere kulturelle Betriebe – Theater, Konzertsäle oder Museen – spürt die Kinobranche die Krise mit voller Wucht.

Nach Angaben der Branchenorganisation Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) verlieren die Kinos durch die Schließungen Woche für Woche rund 17 Millionen. „2020 war das herausforderndste und schwierigste Jahr, seit es Kino gibt – also immerhin seit 125 Jahren“, sagte Christine Berg der Nachrichtenagentur teleschau, und sie muss es wissen, ist Berg doch Vorstandsvorsitzende des HDF und vertritt 602 Mitgliedsunternehmen, die 3.260 Leinwände bespielen.

Kinos kämpfen ums Überleben

Deutschland, so vermuten viele, könne nun das blühen, was international bereits in vollem Gange ist: ein beispielloses Kinosterben. In den USA und England mussten bereits 650 Kinos der Kette Cineworld schließen. Auch hierzulande haben erste Filmtheater bereits aufgeben müssen. Wie viele es am Ende tatsächlich werden, ist wohl davon abhängig, wie lange der aktuelle Lockdown noch andauern wird. Klar ist: Der durch das Corona-Virus verursachte Schaden in der deutschen Kinolandschaft ist immens. Beim HDF erwartet man einen Verlust von etwa einer Milliarde Euro – Mindereinnahmen aus dem Verkauf von Süßwaren und Getränke eingeschlossen.

Dramatisch sieht es auch bei den kleinen Kinos aus. Mit Besucher- und Umsatzeinbrüchen von gut 63 Prozent stelle sich das Jahr für die Programmkinos in Deutschland „als eine Katastrophe“ dar, teilte der Branchenverband AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater mit. Im vergangenen Jahr verkauften die kleinen Häuser gerade einmal 6,84 Millionen Tickets, wie der Verband unter Berufung auf den Analysedienst Comscore mitteilte. 2019 waren es dagegen noch etwa 19 Millionen gewesen.

In Münster blickt man daher ebenfalls sorgenvoll in die Zukunft. „Man muss schon sagen, dass unsere Hoffnung, aus eigener Kraft die Krise zu überstehen, mit jedem Monat, in dem wir eingeschränkt sind, schwinden“, hatte Ansgar Esch den „Westfälischen Nachrichten“ bereits Mitte November gesagt. Für das Jahr 2020 rechnet der Geschäftsführer der Münsterischen Filmbetriebe GmbH, die alle drei Kinos in Münster – Cineplex, Schlosstheater und Cinema – betreibt, mit einem Gesamtverlust in Höhe von vier Millionen Euro im Vergleich zu einem normalen Kinojahr.

Politik will Kinos unter die Arme greifen

Dabei will die Politik denjenigen Kinos, die in Schieflage geraten sind, finanziell unter die Arme greifen. „Aber wie so häufig kämpfen wir nach wie vor mit komplizierten oder nicht auf den Förderbedarf zugeschnittenen Fördertöpfen“, so HDF-Chefin Berg. Mitte Januar war es dem Verband dann genug. In einem Brief an Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte der HDF, dass die versprochenen Hilfszahlungen endlich bei den Kinobesitzern ankommen müssen. Ansonsten drohe „eine Insolvenzwelle noch nicht absehbaren Ausmaßes“.

Ansgar Esch steht den Hilfen ohnehin mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Die angekündigte Unterstützung höre sich zwar gut an, „was am Ende dabei herauskommt, ist leider aber oft ernüchternd“, sagte er dem „Westfalenspiegel“. Immerhin habe es für „Cinema“ und „Schlosstheater“ schnelle Hilfen mit finanzieller Unterstützung von verschiedenen Filmförderungen gegeben. Den Worst Case haben Esch und seine Kollegen trotzdem schon einmal durchgespielt. „Uns ist vor allem klar, dass wir eine Normalität hinsichtlich Auslastung und Filmversorgung vermutlich erst wieder im kommenden Sommer erleben. Den Sommer erreichen viele Häuser aber nur, wenn tatsächlich Hilfen kommen. Sonst ist die Liquidität aufgebraucht und viele Kinos müssen schließen“, sagte er.

Um die Verluste zumindest in Teilen zu kompensieren, stellten die Verantwortlichen in Münster vorübergehend ein Autokino auf die Beine. Es gab es Open-Air-Vorführungen im Sommer und einen Lieferdienst für Popcorn oder Nachos. Zudem wurde das Kassensystem nach dem ersten Lockdown neu programmiert, um flexibel auf Neuerungen bei der möglichen Auslastung der einzelnen Säle reagieren zu können. Auch in Spuckschutzwände und Handdesinfektion wurde investiert. Echtes Kino-Feeling wollte da allerdings nur bedingt aufkommen.

Münsters Kino-Geschichte reicht 115 Jahre zurück

Dabei gilt Münster seit jeher als cineastische Hochburg. Lichtspielhäuser, das zeigt auch der Blick in die Geschichtsbücher, haben hier immer schon eine große Rolle eingenommen. Tatsächlich reicht die Historie mehr als 115 Jahre zurück. Sein erstes festes Kino erhielt die Stadt am 11. November 1906 – im Haus der Ludgeristraße 28a. Das „Ludgeri-Theater“ verfügte über 300 Plätze, firmierte etwas später in „Tonbild-Theater“ um, ehe es zum „Capitol“ wurde. Das Eintrittsgeld betrug je nach Platz 30 oder 50 Pfennig, Soldaten und Kinder zahlten die Hälfte. Als erster Film lief „Der Räuberhauptmann von Köpenick“.

Es folgten weitere Kinos, doch den wahren Neubauboom erlebte Münster dann in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. 1946 öffnete in Mecklenbeck zunächst das „Roxy“, es folgten der Wiederaufbau des „Apollo-Theaters“ (1948), das neuerrichtete „Capitol-Theater“ (1950) sowie das „Roland-Theater“ und die „Schauburg“ (beide 1951). Dann gab es da noch das „Residenz-Theater“, den „Fürstenhof“, das „Schlosstheater“, das „Metropol“, das „Ali“ und das „Rex“ (später „Metropolis“), die „Camera“ und das „Cinema“.

„Die alten Kinos hatten eine gewisse Plüschigkeit und Behäbigkeit. Im Vorraum hingen große Plakate bereits gezeigter Filme, und an einer kleinen Theke konnten Naschereien erworben werden“, erinnert sich der münsterische Hobbyhistoriker Henning Stoffers in seiner Dokumentation über die Kino-Geschichte der Stadt. Jedes Filmtheater hatte zudem sein ganz spezielles Programm. Das „Roland“ und die „Schauburg“ waren Premierenkinos mit Filmen bester Qualität. Dagegen liefen beispielsweise im „Metropol“ zweit- und drittklassige Western.

Neue Konkurrenz befeuert Kinosterben

Doch mit den Jahren wuchs neue Konkurrenz heran. Der Wohlstand kehrte ein, das Fernsehen verbreitete sich und Urlaubsreisen waren finanziell möglich. „So verlor das Kino mehr und mehr an Attraktivität, was sich an der abnehmenden Zuschauerzahl zeigte“, so Stoffers. Dazu befand sich auch die deutsche Filmproduktion in einer Krise. Ein langsames Kinosterben begann, und ein Lichtspielhaus nach dem anderen schloss seine Pforten.

Im Jahr 2000, mit Eröffnung des Multiplex-Kinos „Cineplex“, waren schließlich auch das „Apollo-Theater“ und der „Fürstenhof“ sowie kurz darauf das „Roland“ und das „Metropolis“ endgültig Geschichte. Als bislang letztes Kino stellte das „Stadt New York“ seinen Betrieb 2007 ein und es bleibt die Frage, ob Münster mit „nur“ noch drei Lichtspielhäusern ihrem Ruf als Kino-Stadt überhaupt noch gerecht werden kann.

Sie kann, meint Jens Schneiderheinze. „Inhaltlich ist das Programm für eine Stadt dieser Größe sehr vielfältig und ausdifferenziert.“ Jedes Haus habe nach wie vor sein eigenes Profil. Während die großen Blockbuster ihren Platz in den neun Sälen des „Cineplex“ finden, setzt das „Schlosstheater“ auf Arthouse-Filme und das „Cinema“ auf ein kritisches und gesellschaftlich-politisches Programm, zu denen auch die lesbisch-­schwul-queeren Filmtage gehören. „Für mich bedeutet Kino Unterhaltung, aber auch die Entdeckung neuer Räume, Kulturen, Ideen oder Lebensrealitäten“, sagt Schneiderheinze. „Und da sind wir hier im Vergleich zu anderen Städten nach wie vor gut aufgestellt.“

Vielfältiges Programm prägt Szene

Carsten Happe, seit 2014 Leiter des Filmfestivals Münster, teilt diese Einschätzung. „Die weiteren Angebote durch Filmwerkstatt/Filmfestival und Filmclub sowie die Open-Air-Veranstaltungen vorm Schloss und beim Kamp-Flimmern ergänzen das reguläre Angebot zudem um spannende Programmfarben und Locations“, sagt er. Was für ihn eine gute Szene ausmache? „In erster Linie die Vielfalt des Programms, vom Blockbuster bis zum Kurzfilm bis zur engagierten Doku, die allesamt sorgfältig kuratiert und im passenden Rahmen präsentiert werden, außerdem ein Angebot unterschiedlicher Veranstaltungen mit Filmgesprächen, Gästen und Retrospektiven.“ Das alles sei in Münster gegeben.

Sorgenfrei blickt Happe dennoch nicht in die Zukunft. „Auch wenn sich die Kinos in Münster werden halten können, wird es überregional Schließungen geben. Und auch ein Teil des Publikums ist möglicherweise an die Bequemlichkeit des Streamens verloren“, sagt er. Anbieter wie Netflix, Amazon Prime Video, Disney+ oder HBO Max hängen ohnehin wie ein dunkler Schatten über der Kino-Branche. Denn die Corona-bedingten Schließungen haben eine Entwicklung befeuert, die große Teile der Kinoszene zunehmend in Alarmbereitschaft versetzt: Fürs Kino produzierte Filme laufen vermehrt auf Streamingdiensten. So hat unter anderem Warner angekündigt, in diesem Jahr 17 Filme gleichzeitig im Kino sowie auf seiner Plattform HBO Max zu veröffentlichen. Darunter Blockbuster wie „Matrix 4“, „Dune“ oder „Godzilla vs. Kong“. Den Anfang hat bereits im vergangenen Jahr der Disney-Konzern gemacht, als dieser seinen Abonnenten auf Disney+ den Film „Mulan“ zugängig gemacht hat.

Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA) in Berlin, geht dennoch davon aus, dass die Menschen nach der Pandemie nicht daheim vor dem Fernseher sitzen bleiben werden. „Die Leute haben das Sofa satt“, sagte er im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Das habe man auch an dem Wochenende, bevor die Kinos erneut geschlossen worden seien, gesehen. Die Leute hätten Schlange gestanden für Tickets. Daher sei er vielmehr überzeugt davon, nach Ende der Pandemie einen Kinoboom zu erleben, so Dinges.

Und noch etwas gehe in dieser Diskussion etwas unter, meint Jens Schneiderheinze: das Kino als sozialen Ort und als kulturelle Praxis wahrzunehmen. „Man kommt zusammen, schaut gemeinsam einen Film. Und zwar nicht nur mit Freunden, sondern auch mit Fremden. Genau das macht Kino eben auch aus und macht es zukunftsfähig.“ Entsprechend gehe es für die Kinos nun darum, neue Konzepte zu finden und neue Kooperationen“, ergänzt Filmfest-Leiter Happe. Dass so etwas in Münster möglich ist, haben die hiesigen Kinos in der Vergangenheit mehrfach unter Beweis gestellt. „Und dann bin ich mir sicher, dass das Kino wieder seinen Platz und seine Bedeutung finden wird“, sagt er.

Von Oliver Brand

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