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Aus dem Hinterstübchen auf die Schreibmaschine

Auf seiner Schreibmaschine tippt Andreas Lating aka AndiSubstanz individuelle Poesie auf Zuruf. Jetzt hat sein Lyrikkeller eine feste Heimat gefunden.

Wer in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig an der Paul-Wulf-Skulptur am Servatiiplatz in Münster vorbeigekommen ist, dem dürfte Andreas Lating mit seiner Schreibmaschine und dem Schild „Poesie gegen die Krise“ vielleicht irgendwann aufgefallen sein. Lating, auch bekannt als AndiSubstanz, verfasste hier während der Corona-Pandemie spontane Poesie. Alles, was es dafür brauchte, waren Themenvorschläge von Passant*innen, welche die jeweiligen Texte anschließend gegen eine kleine Spende nach dem Pay-what-you-want-Prinzip erwerben konnten.

Andreas Lating aka AndiSubstanz (Foto: Oliver Brand)

Nun steht die Paul-Wulf-Skulptur wegen Pflasterarbeiten seit Anfang Februar vorübergehend nicht mehr an ihrem angestammten Platz, und auch Lating ist mittlerweile andernorts zu finden ist. Anfang Januar eröffnete er den „Lyrikkeller“ an der Bremer Straße 17. Seitdem tippt Lating seine Werke auf der Schreibmaschine nicht mehr unter freiem Himmel, sondern in den kleinen Räumlichkeiten zwischen Bahnhof und Hafenviertel, die er sich mit dem Kleinen Bühnenboden teilt.

Zweimal pro Woche, immer donnerstags und samstags von 15 bis 20 Uhr, wartet der Lyriker und Poetry-Slammer hier in seiner „Galerie für Buchstabenwerke“ auf Menschen, denen er seine personalisierte Lyrik auf der alten Schreibmaschine schreiben soll. Mal gibt es zwei Euro für ein Werk, mal fünf. Und manchmal sogar etwas mehr.

Das Brot des Künstlers

Allein davon leben, sagt Lating, könne er nicht. Also geht er halbtags noch einem weiteren Job nach. „Man sagt ja gerne, dass der Applaus das Brot des Künstlers ist“, so der Münsteraner Wort-Artist. „Aber der Poetry-Slammer Tobias Beitzel hat es mal viel treffender formuliert, als er gesagt hat: Das Brot ist das Brot des Künstlers und das muss er auch irgendwie bezahlen.“ Wie also finanziert er die Miete für die Räume an der Bremer Straße und mögliche Gagen für Gastkünstler*innen, die ihm sehr wichtig sind? „Ich habe mich auf ein Stipendium beim Kulturamt der Stadt Münster beworben“, sagt Lating. Und tatsächlich hatte er mit seinem Konzept Erfolg.

Für einen Text braucht Lating nicht mehr als ein Stichwort, einen kleinen Impuls. „Ich höre das Thema, sehe mir den Menschen an und dann kommen die Worte aus dem Hinterstübchen meines Kopfes“, sagt er. Die ersten vier Zeilen seien oft die schwierigsten. „Aber dann bin ich schnell im Flow.“ Am Ende sitzt Lating zwischen fünf und fünfzehn Minuten an einem Text. Und der Moment danach, wenn er die meist positiven Reaktionen sieht, sei dann der schönste.

Start in Stadtlohn

Die Freude am Texten entdeckte Lating, Jahrgang 1983 und in Stadtlohn aufgewachsen, bereits früh in seiner Jugend. 1999 kam er über Hip-Hop zum gesprochenen Wort, bis 2003 war er Teil der Sprechgesangsformation „2te Reihe“. Inhaltlich, sagt Lating, habe sich die Gruppe damals mit gesellschaftskritischen Themen auseinandergesetzt. „Und es ging ums Anderssein, ums Rebellieren – auch wenn wir eigentlich wohlbehütete Mittelschichtkinder waren.“

Zwei Jahre später, 2005, hatte er seinen ersten Auftritt bei einem Poetry Slam im Cuba Nova. An den Wettbewerbscharakter, der solchen Veranstaltungen beiwohnt, musste sich Lating allerdings erst gewöhnen. „Das war schon etwas anderes, sich mit anderen zu messen“, sagt er. „Den Umgang damit musste ich erst noch lernen.“ Lating lernte, und so sind bis heute zahlreiche Veranstaltungen in ganz Deutschland dazu gekommen. 2017 schaffte es der Wortkünstler, der eigenen Aussagen zufolge gerne zu „verquertem, um nicht zu sagen kompliziertem Denken neigt“, sogar bis ins Finale des NRW-Poetry-Slams in Siegen.

Im Duktus seiner Texte, so schreibt es Lating auf seiner Internetseite, zeige sich „ein Experimentierprozess mit dem Versuch, Lyrik im gemeinen Verständnis und Sprechgesang im Guten zu verweben und so eine eigene, vielleicht neue Ausdrucksart entstehen zu lassen“.

Texte auf Zuruf

2018 griff er schließlich zur Schreibmaschine und begann, Texte auf Zuruf zu schreiben. Anfangs an wechselnden Orten in der Innenstadt, ab November desselben Jahres dann im eigenen, kleinen Keller seiner Wohnung im Hansaviertel. Bis zu 15 Leute kamen zu den Veranstaltungen, irgendwann wurde es seinem Vermieter zu viel und Lating musste wieder raus. Und so war der Münsteraner Künstler fortan auf Jams, Poetry Slams, Demonstrationen, Festivals, in Fußgängerzonen, beim Parking Day oder eben im Schatten der Paul-Wulf-Statue zu finden.

Die Texte, die dabei seit 2018 entstanden sind, hat Lating aufgehoben. „Das Original“, sagt er, „erhalten zwar diejenigen, die das Thema vorgeschlagen haben. Aber ich mache mir mit Kohlepapier immer eine Durchschrift.“ 2020 ist daraus ein Buch entstanden, das im Lektora Verlag erschien.

Ausstellung und Flohmarkt

Der nun eröffnete Lyrikkeller an der Bremer Straße ist für den 39-Jährigen also ein bisschen so etwas wie eine Rückkehr zu den Anfängen. In der „Galerie für Buchstabenwerke“ bietet Lating nicht nur seine personalisierte Poesie an, er stellt auch eigene Buchstabeninstallationen und Stencil-Arbeiten aus und es gibt einen kleinen Schallplattenflohmarkt. Wer hier ein Album kauft, erhält gratis noch ein Gedicht obendrauf.

Dazu sollen regelmäßig Kellerperformances, eine Mischung aus Spoken Word und Musik, mit anderen Künstler*innen stattfinden. Im Januar waren bereits die Hip-Hopper Carb und Teleluke sowie Autor Andreas Weber zu Gast. Dann erschwerten die verschärften Corona-Richtlinien die Planungen. Doch weitere Kellerperformances sollen folgen, sagt Lating.

Andreas Lating aka AndiSubstanz schreibt ab sofort monatlich in seiner Kolumne für die draußen! Teil eins finden Sie hier:

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