Thees Uhlmann gehört zu den wenigen Musikern, die in diesem Sommer trotz Pandemie auf der Bühne standen. „Songs & Stories“ hieß die kleine, corona-gerechte Tour, mit der sich der 46 Jahre alte Singer-Songwriter auf den Weg machte und dabei vor allem Songs seines jüngsten Albums „Junkies und Scientologen“ spielte und aus seinem Buch „Die Toten Hosen“ las.
Uhlmann, früherer Frontmann der Indie-Band Tomte und seit ein paar Jahren solo unterwegs, hat in dieser Zeit viele Eindrücke gesammelt. Wir haben mit ihm über die Auswirkungen der Pandemie, ein neues Gefühl beim Seriengucken und Besuche beim HSV gesprochen.
Thees, du bist unter Corona-Auflagen getourt. Gab es trotzdem einen Moment, wo du dich gefragt hast: Macht das unter diesen Bedingungen überhaupt noch wirklich Spaß?
Eigentlich nicht, denn auf seine eigene Art war das alles schon auch eine tolle Sache. Zumal das, was wir mit unserem Label und den Leuten machen, eigentlich aus einer gewissen Punk-Haltung heraus kommt. Do it yourself und all diese Dinge. Aber dann ist plötzlich 2020 und der Staat bittet einen, wie man Konzerte veranstalten kann – und wir haben einfach gesagt: „Ja, ist okay so! So machen wir das mal.“ Für uns war das quasi so etwas wie eine postmoderne Umkehrung der Dinge. Und sowas ist ja immer interessant.
Hat es euren Blick auf die Umstände während der Tour ein Stück weit verändert?
Gut möglich. Wir haben unter anderem ein Konzert in der Schweiz gespielt, die zum damaligen Zeitpunkt als relativ corona-frei galt. Die Verantwortlichen dort haben entschieden, es relativ normal, also ohne großes Abstandhalten abzuhalten. Und das war auf gewisse Art schon sonderbar und hat uns gewundert, einfach weil wir es aus Deutschland ganz anders kannten.
Und wie war es hierzulande?
Wir haben in etwa zwölf Bundesländern Auftritte gehabt. Jedes einzelne davon hat es ein bisschen anders gehandhabt und jede Location hatte ihr eigenes Hygienekonzept. Mal gab es Sitzinseln, mal war vorne ganz viel Platz, mal hinten. Zum Bierholen wurden extra Gänge eingerichtet und natürlich mussten die Leute Masken tragen, wenn sie aufgestanden sind.
Wurden die Konzepte von den Besuchern gut angenommen?
Die Leute haben es wertgeschätzt, dass in einer solch besonderen Situation überhaupt wieder etwas stattfindet. Wohl gerade deshalb haben sich eigentlich alle proaktiv an die Regeln gehalten. Natürlich sind wir auch nicht die großen Randalebrüder, die Massen-Pogo veranstalten. Aber ich bin da schon auch sehr stolz auf mein Publikum. Am Ende habe ich nur einmal jemanden zum Hinsetzen ermahnen müssen – ein Gruppe Mädchen war beschwipst und wollte unbedingt tanzen. „Geht nicht, habe ich gesagt, „aber beim nächsten Mal tanze ich mit!“ (lacht)
Wie groß war der Aufwand?
Wir hatten uns im Voraus bewusst dazu entschieden, als Trio leise Musik zu machen, sodass die Songs nur eine ganz kleine Version von sich selbst waren. Das war recht schwierig, aber auch sehr schön und hat mir gut gefallen. Wir haben das im Vorfeld dann intensiv geprobt und bei den Aufritten habe ich die Lieder dann etwas länger erklärt. Heftiger war allerdings der logistische Aufwand, zumal wir ja unsere eigene Booking-Agentur haben. Da muss man eben auch die Zahlen im Blick behalten und gegebenenfalls Dinge kurzfristig anpassen.
Viele Beschäftige aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche sind weniger gut durch die vergangenen Monate gekommen.
Wir haben die Themen Corona und Finanzen zuletzt selbst hautnah erlebt. Nachdem unser Team bei der Tour im Winter noch mit 27 Leuten unterwegs war, reichte es in diesem Sommer nur noch für sechs – drei auf der Bühne, drei davor oder dahinter. Das war schon ganz schön heftig und mündet bisweilen in einem angsterfüllten Schulterzucken mit der Hoffnung auf die Finanzpolitik der Regierung und dass alles irgendwie gut ausgeht. Denn natürlich müssen wir alle auch Geld verdienen – Angestellte, Techniker oder Bandmitglieder.
Braucht die Szene mehr Aufmerksamkeit?
Gerade in unserer Branche ist man oft Schmied seines eigenen Glückes und viele sind Einzelkämpfer, die nun Angst davor haben, hinten runterzufallen. Deshalb finde ich es toll, dass sich so viele bemerkbar machen. Und dass alle rationalen Menschen sagen: „Wir machen jetzt alles noch ein halbes Jahr mit angezogener Handbremse und dann treffen wir uns wieder.“ Es ist ziemlich beeindruckend, wie die Gesellschaft als Ganzes Verständnis füreinander aufbringt.
Würdest du sagen, dass eure Branche in der Krise zu sehr vernachlässigt worden ist?
Kunst und Kultur sind sehr wichtig, und darum muss sich unbedingt gekümmert werden. Aber in allererster Linie sollte es jetzt um die Leute gehen, die in dieser Zeit ganz vorne an der Front gekämpft haben: das Pflegepersonal in Altenheimen und Krankenhäusern, das diese Arbeit bereits seit Jahrzehnten verrichtet – und zwar für einen unglaublich niedrigen Bruttolohn. Diese Menschen sollen am Ende nicht sagen müssen: „Wir haben das hier durchgezogen und ihr habt mit Pötten aus dem Fenster geklopft und das war es dann – vielen Dank!“
Ein Song auf deinem Album „Junkies und Scientologen“ heißt „Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt“. Wird die Pandemie und die daraus entstandene Angst die Kreativität fördern?
Ich denke, dass Kunst und Kultur in dieser Zeit ein guter Begleiter sind, um die eigene Situation zu verstehen oder darüber nachzudenken. Ich empfinde Corona allerdings als sehr unkreativ. Man erlebt weniger, weil es einfach nichts zu erleben gibt. Interessanter dürfte es wohl für Soziologen werden …
Inwiefern?
Es ist wahnsinnig spannend, wie extrem sich gerade die Architektur der Sinne verändert. Jeder von uns guckt bestimmt irgendwo Serien oder Filme, in denen sich die Leute innig und oft umarmen. Und man denkt so: Hey, das dürfen die doch gar nicht. Aber dann wird einem klar: Doch, dürfen die, das ist ja schon vor ein paar Jahren gedreht worden. Dieses Verhalten mit etwas Abstand zu analysieren, dürfte wirklich interessant sein.
Was machst du denn sonst noch so in der Corona-Zeit?
Vor allem mit Gitarre spielen. Ich habe mir jede Menge Tutorials auf YouTube angeschaut, um „Blackbird“ von den Beatles spielen zu lernen. Es hat lange gedauert, aber jetzt kann ich es. Und wenn Paul McCartney irgendwann mal bei einem Konzert fragen würde, ob jemand da wäre, der mit ihm dieses Lied spielt, würde ich meinen Arm heben und rufen: „Ich kann es! Ich kann es! Nimm mich, Paul!“ (lacht)
Auf der „Songs & Stories“-Tour hast du auch aus deinem Buch über die Toten Hosen vorgelesen. Nach „Wir könnten Freunde werden. Die Tocotronic Tourtagebücher“ und „Sophia, der Tod und ich“ ist es bereits dein drittes erfolgreiches Buch. Wie unterscheidet sich das Schreiben vom Musikmachen?
Man hat einfach mehr Zeit. Ein Song sollte nach fünf Minuten zu Ende sein, wenn man nicht gerade ein „Stairway to heaven“ schreibt – was mir aber bislang noch nicht eingefallen ist. Bei einem Buch kann ich dagegen auf Strecke gehen, denn ich weiß, dass die meisten Leute es 15 Minuten lesen werden, bis dann der erste Knall kommt. Darauf kann ich hinarbeiten, und das gefällt mir sehr gut, weil man sich die Zeit nehmen kann.
Welche Unterschiede erlebst du denn auf der Bühne, wenn du Musik machst oder eine Lesung abhältst?
Das Adrenalin, das ausgeschüttet wird, ist dasselbe. Der Unterschied liegt darin, dass es mit der Band meist laut ist und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit herrscht und es viel Kommunikation gibt. Vorlesen ist eher archaisch. Ich erzähle eine Geschichte, und alle anderen hören zu. Das ist vielleicht die älteste Kunstform der Welt. Beides vermittelt ein tolles Gefühl, bietet aber trotzdem unterschiedliche Facetten. Was gut ist: Die Leute benehmen sich bei meinen Lesungen und sind relativ leise. Von einem Regulieren des Publikums halte ich aber ohnehin nichts. Wenn jemand sagt, man solle ruhig sein, kann ich damit nichts anfangen.
Musikmachen lebt ja auch viel vom Miteinander. Hast du noch viel Kontakt zu deinen früheren Bandkollegen?
Auf jeden Fall. Vor allem zu Stemmi und Peter (Christian Stemmann und Peter Heinßen, Anm. d. Red.), mit denen ich bei Tomte gespielt habe. Wir sind bis heute gute Freunde. Peter taucht ja auch in einem Song auf der letzten Platte auf.
In welchem?
In „Junkies und Scientologen“ heißt es: „Für die HSVer vom Dorf, die im Bulli zum Heimspiel fahren“. Das ist Peter. Zusammen mit seinen Kumpels hat er einen Bulli ausgebaut. Mit Raute drauf und so. Jedes zweite Wochenende fahren sie um elf Uhr morgens los zum HSV-Spiel. Und immer wieder sagen sie zu mir, dass ich mal mitfahren soll, weil es das Größte auf der Welt sei. Gute Stimmung, Mische trinken … Und ich erwidere: Peter, ich kann nicht mit zum HSV. Und er dann: Thees, wir tarnen dich.
Weil du St.-Pauli-Fan bist. Fährst du vielleicht trotzdem noch mal mit?
Wenn ich es tue, wird es niemand mitbekommen (lacht). Aber das ist schon lustig. Wir sind jetzt alle Ende 40, aber für diese drei, vier Stunden werden wir alle wieder zu Anfang-Zwanzigjährigen. Es ist wahrscheinlich einer dieser Momente in dem man seinen Frieden mit sich selbst macht und was man ist. Und einer muss eben fahren.