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Fury In The Slaughterhouse: Wir haben unseren Traum gelebt

Fury In The Slaughterhouse sind zurück. 13 Jahre nach ihrem letzten Album veröffentlicht die Band aus Hannover mit "Now" dem Nachfolger von "Don’t Look Back" und .

Mitte der 1990er-Jahre, als Alternativ-Rock gerade groß angesagt war, standen Fury In The Slaughterhouse mal kurz vor dem großen Durchbruch in den USA. Am Ende blieb der Band aus Hannover dieser zwar verwehrt, doch hat sie bei vielen Menschen mit Songs wie „Time to Wonder“, „Every Generation“ oder „Radio Orchid“ bleibenden Eindruck hinterlassen.

2008 trennte sich die Band. In diesem Jahr erscheint mit „Now“ nach 13 Jahren nun doch noch ein neues Album. Wir haben mit Fury-Gründer und -Sänger Kai Wingenfelder über das neue Album gesprochen, über turbulente Zeiten in den USA, Trennungen und über Veränderungen in der Musikbranche.

draußen!: Kai, noch 2017, als ihr neun Jahre nach eurer Trennung die „Klassentreffen“-Konzerte anlässlich eures 30-jährigen Bandbestehens gespielt habt, hieß es, dass ein Weitermachen nicht infrage komme und ihr kein neues Album aufnehmen wollt. Warum nun doch?

Kai Wingenfelder: Wir hatten eigentlich schon 2017 wahnsinnig viel Spaß und sind das ganze Jahr über durch die Republik getourt. Dieses zarte Pflänzchen wollten wir nicht gleich wieder zerstören, indem wir ins Studio gehen, sechs Wochen da rumhängen und uns wieder zerfleischen. Am Ende war es unser Manager, der uns dazu gebracht hat, ein neues Album zu machen.

Wie hat er euch überzeugt?

Er meinte, er kenne da jemanden, der Bock darauf hätte, mit uns ein Album zu machen und zwar so, dass es auch funktioniert. Da sollten wir doch mal hinfahren. Es ging um den Produzenten Vincent Sorg. Also sind wir ins Münsterland nach Senden gefahren und haben uns dort mit ihm getroffen. Es lief sehr gut, und er hat etwas wahnsinnig Wichtiges gesagt.

Was?

Dass es nur eine einzige vernünftige Art gibt, Musik zu produzieren: Die Band trifft sich immer nur vier, fünf Tage und dann geht man getrennte Wege. Einfach, weil er im Laufe der Jahre gelernt hat, dass die Bereitschaft, Dinge gut zu finden, nach dieser Zeit zu Ende geht. Und Vincent ist jemand, der den Finger immer in die Wunde legt. Das tut uns gut. Dazu bringt er den Vorteil mit, dass er Gitarren kann, die Produktionen immer mit Vollgas und Energie sind. Und noch etwas passte: Vincent wollte immer schon eine Popplatte machen. Und wir können Pop, wollten aber eigentlich immer eine richtige Rockplatte machen (lacht). Also haben wir es versucht, und es hat riesigen Spaß gemacht. Und dann haben wir uns dazu entschieden, ein Album zu machen.

Fury In The Slaughterhouse (Foto: Olaf Heine)

„Now“ kommt trotz des typischen Fury-Sounds sehr gitarrenlastig und hymnisch daher. Gerade Songs wie „1995“ oder „Replay“ wirken wie fürs Stadion gemacht. Ist es das Rockalbum geworden, wie Ihr es euch vorgestellt habt?

Die richtigen Rockalben haben wir eigentlich schon gemacht, die klangen nur nicht so. Auch „Time to Wonder“ oder „Every Generation“ sind ja solche Stadionnummern. Aber das war immer das Problem: Dass wir live auf der Bühne alle abholen, diese Energie aber nie auf Tonträger übertragen konnten. Unser Traum war es, die Band endlich mal so zu einzufangen, wie sie wirklich ist.

Als ihr 2008 die Reißleine gezogen habt, waren der Druck und die Erwartungshaltung der Plattenfirma ausschlaggebende Gründe. Also war es diesmal komplett anders?

Auf jeden Fall. Wir durften auf gewisse Weise nach dem Swinger-Club-Prinzip arbeiten. Alles kann, nichts muss. Zudem haben wir uns innerhalb der Band Veto-Rechte eingestanden. Wenn einer absolut keine Lust auf etwas hatte, dann wurde das nicht gemacht. Das hat dazu geführt, dass wir uns das erste Mal seit 2016 nicht einmal in der Wolle gehabt haben. Das gab’s noch nie.

Warum war das in der Vergangenheit anders?

Wenn man in dieser Mühle aus Tour, Videodreh, Promotion, Album steckt, wird das irgendwann einfach zu viel. Wir haben das ja etwa 25 Jahre lang durchgezogen, und da waren eben auch Jahre dabei, die härter waren als andere – wie die USA-Jahre, in denen wir praktisch nur auf Tour waren. USA, Deutschland, wieder USA – das war nicht einfach. Und irgendwann wurden einige von uns Vater, und da wollte man für die Familie da sein.

„Wenn man drei Monate im Bus unterwegs ist und das nicht gewohnt ist, hat man irgendwann die Schnauze voll.“

Kai Wingenfelder, Fury In The Slaughterhouse

„1995“ dreht sich um die Zeit in den USA. Du singst im Refrain „We felt so alive in 1995“. War es eine besondere Zeit?

Wir waren unter anderem mit Green Day, Sheryl Crow, collective soul und Weezer auf Tour. Also wirklich große Bands damals. Das war für uns ein wahnsinniges Erlebnis und wir haben uns den Rock’n’Roll-Traum erfüllt. Das werden wir nie vergessen. Aber wenn man dann drei Monate im Bus unterwegs ist und das nicht gewohnt ist, hat man irgendwann auch die Schnauze voll.

Es gibt auch ein Video zu dem Song, in dem Bilder von damals zu sehen sind. Wie präsent sind diese Eindrücke heute?

Wenn ich jetzt dieses Video sehe, weiß ich noch genau, wo was wann passiert ist. Und ich weiß auch, wo was wie gerochen hat. Diese Zeit, von 1993 bis 1996, war für uns enorm wichtig, weil es so viele Schlüsselmomente gegeben hat. Es war vielleicht nicht die erfolgreichste, aber auf jeden Fall die schönste Zeit.

Was ist besonders in Erinnerung geblieben?

Sicherlich die Busfahrten (lacht). Wir sind ja durch die ganzen Staaten gegurkt. Unser Busfahrer war von den Hells Angels. Der ist nachts mit 60, 70 Meilen durch die Gegend geballert, weil wir auch schon mal 800 Meilen zurücklegen mussten. Da sind die Nächte lang geworden. Das Ding war, dass wir einen dieser Busse hatten, in denen es keine Kühlschränke gibt, sondern nur riesige Truhen. Die waren vollgepackt mit Eis, Tequila und Margarita-Mix-Getränken. Das war’s, mehr brauchten wir aber auch nicht.

Wie war es, als ihr das erste Mal in die Staaten geflogen seid?

Wir sind in New York aus dem Flieger ausgestiegen, durch die Grenzkontrolle gegangen und dann stand da plötzlich eine riesige Stretchlimousine. Nur für uns. Wahnsinn! Wir da also rein und plötzlich hören wir „Every Generation Got Its Own Disease“. Im Radio. In New York. Das war schon groß. Und so ging es in einer Tour weiter. Es gab ein Hotel direkt am Central Park, in dem sie für uns eine Etage komplett freigeräumt hatten. Über uns wohnte Janet Jackson, unter uns die „normalen“ Gäste. Es gab sogar einen Fahrstuhl, der war nur für Janet und für uns. Bewacht von einem riesigen Security-Mitarbeiter.

Aber Arbeit stand für euch auch auf dem Programm?

In New York haben wir erstmal einen 14-tägigen Radio- und TV-Marathon hinter uns gebracht. Musikalisch sind wir schon auf einem relativ hohen Level in die USA gekommen, zumal Meat Loaf bei uns in Deutschland Support war und er uns als Vorband in die USA mitgenommen hat. Das war insofern von Vorteil, dass die ersten vier Wochen ausgebucht waren. In Locations, die nicht unter 15.000 bis 20.000 Zuschauern hatten. Anschließend haben wir dann selbst erste Clubs ausverkauft.

„Heute würde ich sagen, es ist alles super, so wie es gelaufen ist. Aber es gab sicherlich Momente, in denen ich anders darüber gedacht habe.“

Kai Wingenfelder, Fury In The Slaughterhouse

Die Tour hätte euch in den USA fast den Durchbruch beschert. Denkt man manchmal: Was wäre, wenn?

Heute würde ich sagen, es ist alles super, so wie es gelaufen ist. Aber es gab sicherlich Momente, in denen ich anders darüber gedacht habe. Es gab zwei katastrophale Fehlentscheidungen, die wir nicht hätten machen dürfen.

Welche waren das?

Unser Management hätte damals unbedingt mit rüber kommen müssen und uns nicht eines von dort aufs Auge drücken dürfen, mit dem wir nicht klar gekommen sind. Und dann hätten wir nach vier Monaten touren dringend Urlaub gebraucht. Wir waren zu diesem Zeitpunkt einfach durch, dabei hatten wir noch nicht einmal die Westküste gesehen, die damals eigentlich der wirklich wichtige Markt war. Zudem hätten wir in den USA ein neues Album schreiben und aufnehmen müssen.

Warum ist es nicht dazu gekommen?

Unser Album „Mono“ hat zu dieser Zeit in Deutschland Gold bekommen. Daraufhin hat unsere Plattenfirma hier eine Tournee gebucht, ohne dass unser Management Stopp gesagt hat. Wir mussten also zurück, woraufhin RCA Records, unser Label in den USA, sauer geworden ist. Als wir wieder rüber sind, waren bei RCA plötzlich viele Leute ausgetauscht. Und wie das immer so ist, wenn jemand Neues kommt, wird alles andere erstmal über den Haufen geworfen. So war es auch bei uns. Die wollten an unserem neuen Album, das wir in Deutschland aufgenommen hatten, herumschrauben.

Was wollten sie denn ändern?

Die wollten „Grunge-Remixe“ und so was. Und das Video zu unserer ersten Single sollte in den USA nicht veröffentlicht werden, weil darin eine Verbrüderung von weißen und schwarzen Tänzern stattgefunden hat und man das missverstehen könnte.

Wie war eure Reaktion?

Wir haben das nicht mitgemacht und sind zurück nach Hause geflogen. Das war vielleicht ein Fehler. Andererseits habe ich jetzt drei Kinder, bin gesund und hab es überlebt. Wenn wir in L.A. gestrandet wären, mit all dem, was da so im Angebot war, weiß ich nicht, ob wir da alle sauber rausgekommen wären.

Wie sehr hat sich das Musikgeschäft seit damals verändert?

Extrem. Als wir angefangen haben, gab es noch nicht einmal CDs, und wenn wir mal aufhören werden, wird es keine CDs mehr geben. Zudem hat man früher eine Tournee gemacht, um ein Album zu verkaufen, heute macht man ein Album, um eine Tournee zu verkaufen. Denn mit Alben verdient man kein Geld mehr. Als wir „Brilliant Thieves“ 1997 veröffentlicht haben, haben wir in der ersten Woche 220.000 Stück verkauft. Dafür gibt es heute in Deutschland Platin. Damals war es noch nicht mal Gold. Aus meiner Sicht hat das ganze Desaster mit der Einführung von iTunes und den Streamingdiensten begonnen.

„Durch Streaming-Angebote hat Musik etwas von ihrem Wert verloren. Nicht monetär, sondern allgemein.“

Kai Wingenfelder, Fury In The Slaughterhouse

Wie siehst du denn die Streaming-Angebote?

Ich bin da zwiegespalten. Ich habe selbst einen Spotify-Account, und ich mag es, dass ich mir Sachen anhören und neu entdecken kann. Nur hat die Musik dadurch etwas von ihrem Wert verloren. Nicht monetär, sondern allgemein. Ich kann mich noch an das Gefühl erinnern, dass man in den Plattenladen gegangen ist und sich ein neues Album gekauft hat, auf das man sehnsüchtig gewartet hat. Man ist dort mit dem Verkäufer ins Gespräch gekommen, der einen auf andere Alben aufmerksam gemacht hat. Und später habe ich diese mit den Kumpels zu Hause gehört. Das waren Momente des kulturellen Genießens.

Das ist heute anders…

Ja, und das ist auf gewisse Weise traurig. Außerdem hat es dazu geführt, dass man als Musiker kaum noch Geld verdienen kann. Es gibt so viel Musik wie noch nie, die Flut ist wahnsinnig. Denn jeder kann heutzutage Musik zu Hause aufnehmen.

Ein neues Album möchte man den Menschen am liebsten live nahebringen. Da habt ihr euch in Zeiten der Pandemie nicht den besten Moment für „Now“ ausgesucht.

Wir haben uns bewusst für diesen Zeitpunkt entschieden, weil es vielleicht eines der wichtigsten Alben unsere Karriere ist und sich sehr viele Menschen da draußen darüber freuen werden. Und die Zeiten sind nunmal so, wie sie sind, und das Album ist, wie es ist. Da müssen wir jetzt durch. Jammern hilft uns auch nicht, wir müssen Wege finden, wie wir das machen können.

Macht ihr Musik in erster Linie für euch selbst oder für die Menschen da draußen?

Sowohl als auch. Natürlich möchte ich meine Geschichten erzählen, weil ich mich über Musik ausdrücke und auf diese Weise Dinge loswerden kann. Aber wenn du weißt, dass Menschen zu deiner Musik Kinder gezeugt haben, und zu „Time To Wonder“ waren es sicherlich ganz schön viele (lacht), und wie viele Menschen begraben worden sind zu „When I’m Dead and Gone“, einfach, weil es ihre Musik war, dann weißt du, warum du das machst und für wen.

Und wie lange bleibt ihr diesmal in der Tretmühle?

Wir gehen nicht wieder in die Tretmühle zurück. Wenn wir Lust haben, machen wir das, worauf wir Lust haben. Wenn wir keine Lust haben, dann lassen wir es. Das Schöne ist: Wir haben jetzt, nach fast 40 Jahren, noch eine Platte gemacht und wir können davon leben. Insofern sind wir beschenkt und dankbar. Ich brauche nicht immer noch mehr und kann auch aufhören. Ich bin 61 alt und ich bekomme meine FFP2-Masken schon umsonst. Das reicht mir.

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