Ich bin eine von zehn: Eine der vielen Frauen, die an der weit verbreiteten Krankheit Endometriose leidet. Wer davon schon einmal etwas gehört hat, verbindet diesen Begriff mit sehr starken Regelschmerzen. Doch hinter der chronischen Krankheit steckt weit mehr, weshalb sie auch das „Chamäleon der Gynäkologie“ genannt wird.
Kurze Erklärung
Endometriose ist eine chronisch verlaufende Erkrankung der Gebärmutterschleimhaut, bei der gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst und zum Beispiel an den Eierstöcken, im Bauch- und Beckenraum, aber auch an Darm und Blase zu finden ist. Diese Ansammlungen werden Endometrioseherde genannt und können theoretisch an jeder Stelle im Körper wachsen. Jeden Monat wird die Gebärmutterschleimhaut einer sich im fruchtbaren Alter befindenden Frau periodisch auf- und wieder abgebaut, wobei es zu den typischen leichten bis mittleren Regelschmerzen kommen kann. Stellt man sich nun vor, dass auch die Herde außerhalb der Gebärmutter diesem hormonellen Zyklus folgen, kann man sich vielleicht ansatzweise das Ausmaß der Schmerzen vorstellen.
So individuell wie jede einzelne
Die Endometriose-Vereinigung in Deutschland schätzt ca. 2 Millionen Erkrankte mit Endometriose und bezeichnet diese als zweithäufigste gynäkologische Erkrankung. Die Vielseitigkeit der Symptome erschwert jedoch eine frühzeitige Diagnose und Behandlung. Drei Jahre lang habe ich mir selbst nicht geglaubt, dass etwas nicht stimmt. Wie sollen junge Frauen ihre Schmerzen einschätzen, wenn es keine messbaren Vergleichswerte gibt und ein Großteil der Frauen immer noch nicht offen genug darüber sprechen kann?
Den ganzen Monat über hatte ich immer mal wieder Bauchschmerzen. Nahrungsunverträglichkeit: Nicht vorhanden! Lange Spaziergänge führten zu Leistenschmerzen: Zu welchem Arzt gehe ich als nächstes? Bereits eine Woche vor Periodenbeginn konnte ich mich auf Terminabsagen einstellen und mich auf meinen besten Freund für die nächste Zeit freuen: Mein Bett. Denn auf die Minute genau kam die quälende Migräne. In einer Schmerzklinik wurde mir dann „viel zu viel Stress“ diagnostiziert. Okay, dann eben wieder tägliche Meditation zum Entspannen. Wenn diese Krankheit so häufig ist, warum bleibt sie bei vielen Frauen jahrelang unerkannt?
Hilfe suchen: Das Endometriosezentrum
Um das herauszufinden, habe ich mit Dr. med. Sebastian Schäfer, Leiter des UKM-Endometriosezentrums, gesprochen. Er ist Endometriosespezialist und bietet tägliche Sprechstunden für Patientinnen mit konkretem Verdacht auf Endometriose an. „Zunächst machen wir eine Diagnostik, ein Gespräch und die ersten Untersuchungen wie beispielsweise den Ultraschall. Danach weiß man in der Regel schon sehr viel über die Problematik und kann gemeinsam schauen, welche diagnostischen und therapeutischen Behandlungsschritte im Verlauf unternommen werden können“, erklärt Schäfer. Auch er kritisiert, dass es immer noch Ärzte gäbe, die die Beschwerden im ersten Moment nicht ganz so ernst nehmen würden und leider nicht genügend Zeit hätten, sich mit den einzelnen Patientinnen sehr genau zu beschäftigen.
Zweimal legte ich meinem Gynäkologen ein Schmerztagebuch vor, in dem ich die Schmerzen der letzten Monate festhielt, aus Verzweiflung, dass mir doch dann endlich jemand glauben würde. Meine Schmerzen seien zu diffus und Schmerzen durch Endometriose hätten Frauen nur während der Regelblutung, gab er mir mit auf den Weg. Doch das ist nicht korrekt: „Man muss ganz klar sagen, dass sich die Schmerzen nicht nur auf die Periode beschränken, sondern als Beschwerdebild auch außerhalb der Regelblutungszeit vorkommen können“, so Dr. Schäfer. Die Schmerzen können somit zyklusabhängig und zyklusunabhängig auftauchen.
Symptome und Therapiemöglichkeiten
Zurück zum Chamäleon: Es gibt auch Frauen, die keinerlei Beschwerden haben und bei denen Endometriose eher zufällig, beispielsweise im Rahmen des unerfüllten Kinderwunsches, entdeckt wird. „Ein wesentlicher Anteil der Frauen mit Endometriose ist auch der Anteil, der gleichzeitig einen Kinderwunsch hat, der im schlimmsten Fall unerfüllt bleibt. Hier können wir neben den operativen Möglichkeiten dann auch die Reproduktionsmedizin und Kinderwunschspezialisten miteinbeziehen“, so Schäfer.
Oft beschriebene Beschwerden sind Bauch- und Rückenschmerzen, starke und unregelmäßige Monatsblutungen, Schmerzen bei gynäkologischen Untersuchungen, Müdigkeit und Erschöpfung, sowie ein vermehrtes Auftreten von Allergien. Und weil Endometriose so unterschiedlich und individuell ist, bedarf es auch einer individuellen Behandlung.
In erster Linie steht die sogenannte Laparoskopie (Bauchspiegelung) im Mittelpunkt, bei der Endometrioseherde und Verwachsungen operativ entfernt werden können. Oft ist dies auch der einzige und sichere Weg, Endometriose zu diagnostizieren, da ein Ultraschall lediglich Hinweise, aber keine Diagnose liefern kann. „Das können nur wenige oberflächliche Herde sein, es gibt aber auch hochkomplexe Eingriffe mit interdisziplinärem Vorgehen zusammen mit Chirurgen oder Urologen, wenn beispielsweise die Blase oder der Darm mit betroffen sind“, sagt Schäfer.
Darüber hinaus sei es jedoch wichtig, dass nicht jede Patientin sofort operiert werden müsse, da es als zweite Möglichkeit hormonelle Therapien gibt. Diese unterdrücken laut dem Spezialisten die Endometriose: „Während der Einnahme der Hormone tritt keine Regelblutung auf, somit werden die Phasen unterdrückt, in denen am ehesten neue Herde entstehen“, so Schäfer. Beim Absetzen der Hormone kann jedoch mit einer Rückkehr und erneutem Ausbruch der Krankheit gerechnet werden.
Ursachen und Forschung
Nachdem ich meinen Gynäkologen zu einer Bauchspiegelung überredet hatte und endlich beweisen konnte, dass ich mir die Schmerzen nicht einbildete, traf mein persönliches Wunder ein: Seit der Operation bin ich schmerzfrei! Doch Endometriose-Patientinnen wissen, dass dieses Glück nur von kurzer Dauer sein kann. Dr. Schäfer erklärt hierzu, dass die häufigsten Fälle chronisch und dauerhaft vorhanden sind, was bedeutet, dass sie immer wieder neu auftreten können.
Es ist ein Teufelskreis: Solange die Ursachen der Krankheit nicht bekannt sind (und das sind sie leider trotz jahrelanger Forschung nicht), kann das Wiederauftauchen der Krankheit nicht verhindert werden. „Es gibt keine einfache Antwort, weil Endometriose eine multifaktorielle Erkrankung ist. Da kommen mehrere Ursachen und Faktoren zusammen“, erklärt der Endometriosespezialist. Also wird in verschiedenen Zentren weiterhin an den möglichen Ursachen geforscht, um die Auslöser in Zukunft beheben zu können.
Hilfe zur Selbsthilfe: Die Endo-App
Bis dahin müssen Endometriose-Patientinnen lernen, sich neben den medizinischen Möglichkeiten selbst zu helfen. Denn die Lebensqualität zu verlieren ist keine Option! Mit dieser Thematik hat sich Dr. med. Nadine Rohloff, ehemalige Ärztin am Endometriosezentrum des UKMs, beschäftigt. Sie hat mit ihrem Team die sogenannte „Endo-App“ entwickelt, um betroffenen Frauen mit wissenschaftlich anerkannten Methoden und Übungen zur Schmerzbewältigung und Lebensqualitätsverbesserung zu unterstützen.
„Hier spielt Selbstmanagement oder Selbstfürsorge eine wichtige Rolle, zusätzlich zur beziehungsweise als Teil der Standardtherapie. Selbstmanagement bedeutet, Möglichkeiten zu finden, mit den Beschwerden und Symptomen im Alltag zurechtzukommen“, erklärt die Gründerin der App. Die Frauen können in der Anwendung also individuell auf ihr Krankheitsbild eingehen, schmerzlindernde Möglichkeiten finden und sich somit auch ernst genommen fühlen. Dies ist zwar ausdrücklich als Ergänzung zur Therapie gedacht und ersetzt nicht die ärztliche Behandlung, schafft es aber, auf die Patientinnen einzugehen.
Rohloff erklärt, dass eine regelmäßige Dokumentation in einem smarten Tagebuch dabei helfen kann, individuelle Zusammenhänge aufzudecken: „Die Betroffene kann so ein besseres Verständnis entwickeln. Auswirkungen von bestimmten Sportarten, Nahrungsmitteln und vielem anderen mehr sind besser beobachtbar.“ Helfen kann zum Beispiel Physiotherapie, Ernährungsberatung, Meditation und Yoga, aber auch psychologische Unterstützung kann hilfreich sein.
„Im Bereich der chronischen Schmerzen ist die multimodale Schmerztherapie ein wichtiger Bestandteil. Das bedeutet, aus vielen Bereichen eine individuelle Therapie zu entwickeln. Chronische Schmerzen sind komplexe Prozesse im Nervensystem, die eine ganzheitliche Therapie erfordern“, betont Rohloff die Wichtigkeit der individuellen Therapie. Da sich die App noch in Studien und Anwendertests befindet, dürfen besonders Endometriose-Patientinnen gespannt auf den Starttermin sein, denn genau diese Hilfe hätte ich mir zum Beispiel damals gewünscht.
Die beiden Spezialisten sind sich einig: Schmerzen, die im Alltag extrem einschränken, sodass Frauen während der Periode ihre Aktivitäten enorm zurückschrauben müssen und nicht mehr am normalen Leben teilnehmen können, sind Anzeichen, dass etwas nicht stimmt. Frauen mit Verdacht auf Endometriose sollten sich an eine gynäkologische Praxis oder direkt an ein Endometriosezentrum wenden.
Von Alina Köller