Im ehemaligen Arbeitsamt an der Wolbecker Straße sind 50 Mietwohnungen entstanden. (Foto: Oliver Brand)

Ein Home im Office – mit Bürogebäuden gegen Wohnungsnot

In deutschen Großstädten werden immer mehr leer stehende Bürogebäude in Wohnungen umgewandelt. Kann das Konzept dabei helfen, den schwierigen Wohnungsmarkt in Münster zu entspannen?

Eine Leerstandsquote von beinahe null, steigende Mietpreise und kaum bezahlbarer Wohnraum: Der Immobilienmarkt in Münster ist seit Jahren angespannt. Menschen mit geringem oder teils sogar mittlerem Einkommen haben kaum noch Chancen, eine passende Wohnung in der Domstadt zu finden. Zwar wächst der Bestand an Sozialwohnungen seit ein paar Jahren auf zuletzt 8.239 im Jahr 2020 wieder an, liegt damit aber immer noch ein gutes Stück hinter den Zahlen von vor 20 Jahren (12.000).

Das Bild aus Münster deckt sich mit dem in fast allen Großstädten in Deutschland. Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich das Thema deshalb auf die Fahnen geschrieben – und sich das Ziel gesetzt, jeweils 400.000 neue Wohnungen in diesem und in den kommenden drei Jahren zu bauen. Jede vierte davon soll eine Sozialwohnung werden.

Ob sich das ambitionierte Vorhaben tatsächlich realisieren lässt, darf ob des Facharbeitermangels und fehlenden Baumaterials sowie knappen Baulands aber zumindest angezweifelt werden. Dazu kommen die ehrgeizigen Klimaschutzziele der Ampel, die ebenfalls gravierende Auswirkungen auf das Bauen und Wohnen haben werden. Wie also kann sich die akute Wohnungsnot dann überhaupt lindern lassen?

„Eine gewaltige Chance“

Dietmar Walberg, Leiter des Bauforschungsinstituts „ARGE für zeitgemäßes Wohnen“ in Kiel, sagt, eine „gewaltige Chance“ liege in der Umwandlung von Büro- und Gewerbeflächen in Wohnraum. Gerade in Zeiten, in denen das Arbeiten von zu Hause aus zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Tatsächlich wird das Modell bereits in mehreren Städten umgesetzt. In Düsseldorf etwa entwickelten Architekten aus dem ehemaligen Thyssen Trade Center das Wohnprojekt „Living Circle“. Auf ehemals 40.000 Quadratmetern Bürofläche finden sich heute 340 bezahlbare Wohnungen. In Frankfurt am Main hat die Stadt bereits 2005 eine eigene Fachabteilung für Umnutzungen eingerichtet. Zuletzt entstand in Frankfurt fast jede dritte Wohnung auf früheren Büroflächen.

Das „Living Circle“ in Düsseldorf (Foto: NRaspudic/Konrath und Wennemar)
Das „Living Circle“ in Düsseldorf (Foto: NRaspudic/Konrath und Wennemar)

Die Corona-Krise hat den Trend zu Umwandlungen zuletzt noch einmal beschleunigt. „Das Potenzial in diesem Bereich ist immens“, sagt Walberg. „Da Homeoffice – auch bedingt durch die Pandemie – immer populärer wird, könnten wir einen Teil dieser Fläche entsprechend anders nutzen.“ Zumal das Arbeiten von zu Hause auch nach der Pandemie eine größere Rolle spielen dürfte als vorher. Noch im April dieses Jahres, so berichtete es das ifo-Institut in München, lag der Anteil der Beschäftigten, die zumindest teilweise im Homeoffice arbeiteten, noch bei 24,9 Prozent.

Verlegung ins Home Office

Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen hat dazu vor Kurzem eine Studie veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem, dass rund 40 Prozent der Büroarbeitsplätze ins Homeoffice verlegt werden könnten. Bis zum Jahr 2040 könnten so 1,9 Millionen neue Wohnungen durch Umwandlung geschaffen werden. Kurzfristig – bis 2025 – haben die Kieler Immobilienexperten ein Potenzial von 235.000 Wohnungen berechnet.

Etwas weniger optimistisch liest sich eine Umfrage des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Demnach wollen nur 6,4 Prozent der Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten ihre Bürofläche reduzieren. Und dennoch: Bei bundesweit rund 350 Millionen Quadratmetern Büro- und Verwaltungsfläche wäre selbst das ein ordentlicher Batzen.

Würde nur ein Prozent davon in Wohnraum umgenutzt werden, könnten jährlich rund 50.000 Wohnungen mit jeweils 70 Quadratmeter entstehen. Und das zu vergleichsweise geringen Kosten, wie Walberg betont. Demnach ließen sich 30 Prozent der Büro- und Verwaltungsgebäude mit einem geringen baulichen Aufwand umnutzen. Während bei Neubauten im Schnitt Kosten in Höhe von 3.405 Euro pro Quadratmeter anfallen, sind es bei einem Büro-Umbau lediglich 1.280 Euro. Ein Bestandsersatz mit Abriss und Neubau koste demnach 3.616 Euro und die neubaugleiche Vollmodernisierung sogar rund 3.939 Euro.

Kaum Leerstand in Münster

In Münster umfasst der Bestand an Büroflächen nach Zahlen der Wirtschaftsförderung aktuell 2,29 Millionen Quadratmeter. Doch während die Leerstandsquote von Büroimmobilien bundesweit seit rund drei Jahren wieder ansteigt – Experten gingen zuletzt von bis zu 5,5 Prozent aus – stehen in der Domstadt nur 28.200 Quadratmeter Bürofläche leer. Damit liegt die Leerstandsquote bei 1,2 Prozent und damit auf dem niedrigsten Niveau seit Beginn der Büromarktberichterstattung in Münster.

Eine gesamtstädtische Strategie, systematisch Büroflächen zu Wohnflächen umzuwidmen, gibt es in Münster ohnehin nicht. „Damit würde eine Entmischung der Stadt gefördert und Verkehre vermehrt werden“, heißt es dazu aus der Verwaltung. Dies widerspreche dem Ziel „der urbanen, gemischten Stadt der kurzen Wege“, wie sie in Münster geplant wird. Auch ein entsprechendes Umwandlungsmonitoring finde nicht statt.

Umwidmung von unbebauten Flächen

Dennoch, erklärt die Stadt, gebe es immer wieder Standorte, „auf denen eine solche Umwandlung städtebaulich sinnvoll ist“. In den vergangenen Jahren seien dahingehend mehrere ursprünglich „für Büroflächen vorgesehene (unbebaute) Flächen in Wohnbauflächen“ umgewidmet worden. 2018 entstanden unter anderem im Bereich Zentrum Nord 500 neue Wohneinheiten und an der Regina-Protmann-Straße in Kinderhaus rund 160.

Nur: Ist das Konzept der reinen Umnutzung von Büroimmobilien in Wohnraum in Münster dann überhaupt eine sinnvolle Alternative, um dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen entgegenzuwirken? „Die Umwandlung von Büroflächen ist zumindest die Chance, relativ zügig und oftmals in zentralen Lagen, Wohnraum zu schaffen“, sagt Michael Lüke. „Somit ist sie eine Ergänzung zum Wohnungsneubau.“

Lüke ist Geschäftsführer der CM Immobilien-Entwicklungs GmbH, die in den vergangenen Jahren für Umwandlungsprojekte in Münster mitverantwortlich war. 2017 etwa schuf sie im Gebäude der Polizeiwache an der Hammer Straße 25 Wohnungen. Bereits ein paar Jahre zuvor wurde das ehemalige Arbeitsamt an der Wolbecker Straße im großen Stile umgewandelt.

Vorteile gegenüber Abriss und Neubau

Unter dem Logo „Habitat – Das Wohn!Haus“ baute die CM Immobilien-Entwicklungs GmbH hier im Jahr 2010 50 Mietwohnungen in Größenordnungen zwischen 35 und 135 Quadratmetern – vielfach mit Balkon und Terrasse. Die Baukosten lagen den Angaben zufolge bei rund 1.300 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Die Bauzeit betrug rund zehn Monate.

Im ehemaligen Arbeitsamt an der Wolbecker Straße sind 50 Mietwohnungen entstanden. (Foto: Oliver Brand)
Im ehemaligen Arbeitsamt an der Wolbecker Straße sind 50 Mietwohnungen entstanden. (Foto: Oliver Brand)

„Damit war diese deutlich kürzer, als sie es bei einem Abriss und Neubau gewesen wäre“, sagt Lüke. Ein weiterer Vorteil gegenüber einem Neubau liege darin, dass das Volumen des Bestandsgebäudes bereits genehmigt ist. „Heutige, schärfere baurechtliche Anforderungen, zum Beispiel in Bezug auf Abstandsflächen, würden in vielen Fällen nur eine geringere Ausnutzung eines Grundstücks zulassen“, so Lüke.

Bürogebäude strukturell gut geeignet

Bürogebäude seien strukturell grundsätzlich gut geeignet, um neuen Wohnraum zu schaffen, meint ARGE-Leiter Dietmar Walberg. „Büro- und Verwaltungsgebäude bringen bereits das Tragwerk und teilweise auch hohe Standards mit – etwa beim Brandschutz und durch Fahrstuhlanlagen.“ Meist sei nur ein Umbau der Innenräume notwendig.

Dazu gebe es in der Regel keine städtebaulichen Vorgaben oder Architektur-Wettbewerbe. Und auch aus ökologischer Sicht sei eine Umwandlung attraktiv. So beziffert der ARGE-Leiter den Effekt der Umnutzungs-Potenziale, etwa durch weniger Pendelwege, bis 2045 auf bis zu 9,2 Millionen Tonnen CO2 jährlich.

Herausforderungen bei Umnutzung

Doch so positiv eine Umwandlung von Büro- und Gewerbeflächen in Wohnraum auf den ersten Blick auch scheint, so groß sind bisweilen auch die Herausforderungen. In Gewerbegebieten zum Beispiel ist eine Wohnnutzung untersagt, sodass Städte oder Gemeinden den Bebauungsplan ändern müssten, was mitunter zu Verzögerungen von bis zu zwei Jahren führen kann.

Dazu kommen die baulichen Aspekte, wie auch das Beispiel „Living Circle“ in Düsseldorf zeigt. Das ehemalige Thyssen Trade Center verfügte vor dem Umbau lediglich über wenige zentrale Eingänge und Treppenhäuser. Zudem führten meist lange Flure zu den Büros, und es fehlten Küchen und Toiletten. Also genau das Gegenteil von dem, was es im Wohnungsbau braucht. Und „die Balkontüren haben für besonderen Aufwand gesorgt, da die Brüstungen der Gebäude statisch tragend sind“, sagt Harald Wennemar vom beteiligten Architekturbüro „konrath und wennemar“ in einem Interview mit dem Grohe-Magazin.

„Der Umbau von Bestandsgebäuden ist für einen Entwickler eine besondere Herausforderung, da man mit unerwarteten Risiken rechnen muss“, so Wennemar. Die Architekten aus Düsseldorf haben sich dieser Herausforderung gestellt und sie haben gezeigt, wie Umwandlungen funktionieren können. Das „Living Circle“ wurde unter anderem mit dem Deutschen Bauherrenpreis 2018 und dem Immobilien-Award in der Kategorie Projektentwicklung Bestand 2017 ausgezeichnet.

„Eine lohnenswerte Ergänzung“

Ob eine Umwandlung von Büroflächen am Ende tatsächlich die große Lösung für den Mangel an Wohnraum ist, bleibt abzuwarten. „Aber sie ist auf jeden Fall eine lohnenswerte Ergänzung zu anderen Maßnahmen und würde den ein oder anderen unnötigen Abriss womöglich verhindern“, sagt ARGE-Leiter Walberg.

Michael Lüke von CM Immobilien hegt derweil den Wunsch, dass „die Politik die Sanierung von Bestandsimmobilien noch stärker in den Fokus rücken würde“. Gerade mit Blick auf den Klimaschutz. Denn „hier lässt sich an verschiedenen Stellen einfacher Energieverbrauch reduzieren als mit weiteren Verschärfungen am Neubau“, so Lüke. Weitere Umwandlungen plant die CMI aktuell übrigens nicht. Aber sollte die Polizei irgendwann das Gebäude an der Hammer Straße verlassen, wo CMI wie erwähnt bereits 25 Wohnungen geschaffen hat, „würden wir voraussichtlich auch diese Fläche für Wohnungen nutzen“, sagt Lüke. Es geht also auch in Münster, wenn auch in kleinen Schritten.

Von Oliver Brand

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